Die Göttin im Stein
Rillen für Erbsen und Bohnen zog, wenn sie Brotteig knetete oder Wolle färbte, wenn sie an den Windeln für ihr ungeborenes Kind webte oder mit Kori spielte – dann konnte sie daran glauben, daß alles vorbei war. Und sogar von einer Zukunft träumen. Einer Zukunft mit ihrem Kind und mit Kori, mit Lele und mit Daire. Und mit Irrkru.
Aber nachts, wenn sie schweißüberströmt aus kurzem Schlaf auffuhr, wenn das Herz gegen die Rippen hämmerte und die Brust zu zersprengen drohte, dann war er wieder da.
Und die Angst, von der Decke herab könnten Augen sie beobachten und in den Besen könnten die Geister lauern, die sie im Auftrag von Lykos belauschten.
Daire und die beiden anderen Sippenmütter beendeten das Kehren, lehnten die Reisigbesen an den Stamm einer Eiche.
Schwarz standen die Besen im Dunkel. Naki starrte. Verkrampfte die Finger ineinander.
Es sind bloß Besen.
Aber dann rannte sie los, griff die drei Besen, rannte mit ihnen zum Feuer und warf sie hinein.
»Was tut sie da?!« erregte sich die Nachbarin. »Zerstört die heiligen Linien. Und die Reisigbesen waren doch noch gut!«
Hitze stieg Naki ins Gesicht. Schweigend stellte sie sich wieder neben Lele.
»Laß sie«, sagte Lele müde zur Nachbarin. »Sie konnte nicht anders.« Sie legte Naki den Arm um die Schulter.
Naki biß die Zähne zusammen.
Sie hätte dieser sinnlosen Angst nicht nachgeben dürfen. Nur harmlose Besen.
»Jetzt rufen wir die Große Bärin«, sagte Lele leise. »Sie wird uns heilen, uns alle. Auch dich und mich.« Ihre Stimme war unendlich traurig.
Etwas in Naki zog sich schmerzhaft zusammen: die arme Lele. Tag für Tag hatte die längst überfällige Geburt von Leles Kind auf sich warten lassen. Als wage es sich nicht auf eine Welt, in der es
ihn
gab. Und dann hatte Lele ihr Kind mit einem Schwall stinkend grünlichen Wassers unter schrecklichen Schmerzen geboren.
Tot.
Lele erholte sich schwer. Sprach nicht darüber. Wie unglücklich mußte sie sein.
Und wie dankbar durfte sie selbst sein, daß ihr Ungeborenes so kräftig in ihrem Bauch strampelte, während Leles schon Tage vor der Geburt kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte.
Naki streichelte ihren Bauch. Nicht mehr sehr lang ...
Die älteste Sippenmutter schritt zum Feuer, einen Brotkorb mit Mehl in der Hand. Sie verneigte sich und streute eine Handvoll Mehl in das Feuer. Dann blies sie Mehl in alle vier Winde. Daire stimmte das Lied an, mit dem die Große Bärin gerufen wurde. Im weiten Kreis um das Feuer stehend, sangen sie alle das Lied. Danach griff die älteste Sippenmutter nach der Tontrommel und begann sie im raschen, einförmigen Rhythmus zu schlagen.
Naki schloß die Augen, legte den Kopf in den Nacken, rollte die Finger zusammen, als würde sie in jeder Hand ein Ei halten, und legte die Hände auf den Bauch. Bilde mit deinen eingerollten Händen ein Dreieck, in dessen Mittelpunkt dein Bauchnabel ruht, und dann überlaß dich der Trommel, hatte die alte Priesterin gesagt, als sie vor Jahren in der Einweihungszeit Naki in die Anrufung der Großen Bärin eingeführt hatte.
Naki tat alles so, wie sie es gelernt hatte. Dennoch war es heute ganz anders.
Kaum hatte sie die Augen geschlossen, kaum spürte sie den Rhythmus der Trommel, begann sie zu schwanken. Sie schwankte so stark vor und zurück und zu beiden Seiten, daß sie zu fallen fürchtete. Ohne die Augen zu öffnen, ohne das Dreieck ihrer Hände zu lösen, kniete sie schwerfällig nieder, weiter das Gesicht zum Himmel erhoben.
Ramdamdamdamramdamdamdamramdamdamdam
Das Schwanken wurde noch stärker, ging über in ein heftiges Schütteln, das jede Faser erfaßte. Eine ungeheure Kraft hatte sich ihres Körpers bemächtigt und stieß ihn hin und her.
Große Bärin, was tust du mit mir –
Die Bärin antwortete nicht, zeigte sich nicht. Doch immer gewaltiger beutelte sie Nakis Körper. Als wolle sie ihn so lange rütteln, bis er zersprang.
Einen Augenblick war die Versuchung da, sich dieser unheimlichen Macht zu entziehen, das magische Dreieck zu lösen, sich Schutz suchend auf den Boden zu werfen. Doch sie widerstand ihr und ließ sich ergeben noch tiefer in das Unfaßliche fallen.
Die Zuckungen ihrer Glieder steigerten sich zu Raserei. Dann plötzlich hörten sie auf.
Ein tiefviolettes Licht leuchtete vor Nakis geschlossenen Augen auf. Und dann erschien sie, die Große Bärin. Riesengroß. Übermächtig.
Naki kniete und sah. Sah die Bärin vor sich und spürte sie doch zugleich hinter
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