Die Göttin im Stein
geschlafen! So fest hast du geschlafen, daß dich weder das Öffnen des Tores bei unserem Weggehen noch das Bellen der Hunde bei unserer Heimkehr wecken konnte! Wir konnten an dir vorbeispazieren und mußten nicht einmal schleichen! Hat der Herr dir nicht befohlen, Nacht für Nacht über unseren Hof zu wachen? Hat er dir nicht verboten, dich dem Met hinzugeben? Hat er dich nicht für unsere Sicherheit verantwortlich gemacht – und für unser Wohlverhalten?!«
Owros war blaß geworden, starrte sie an. Sie erwiderte seinen Blick, bis er die Augen senkte. Dann erklärte sie kühl: »Sag es dem Herrn ruhig, wenn er heimkehrt, sag ihm, wie schlecht du seinem Befehl gehorcht hast! Wie übermäßig dem Met zugesprochen! Wie du Nacht für Nacht deinen Rausch ausgeschlafen hast, statt das Eigentum deines Herrn zu bewachen!«
Er stammelte, wand sich.
Sie setzte eins drauf: »Eines ist jedenfalls sicher: Chtairus hat für weit weniger mit dem Leben bezahlt!«
Damit ließ sie ihn stehen und ging festen Schrittes zum Haus.
Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann sie zu zittern. Sie zitterte so, daß ihre Beine sie nicht mehr trugen.
Wai nahm sie in die Arme, führte sie zum Bett, hielt sie, wiegte sie. »Es ist ja vorbei, Moria, vorbei. Du warst großartig. Von Owros hast du nichts zu befürchten, der verrät dich nicht an Lykos, darauf verwette ich meinen Kopf! Wie du das gemacht hast, Moria! Dieses Gesicht von Owros, das vergesse ich nie!« Wai lachte.
Da lachte Moria auch, lachte und konnte nicht aufhören, die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, und schließlich weinte sie nur noch. Dann schlief sie ein.
»Herrin, wacht auf, so wacht doch auf, rasch!« Noedia rüttelte sie.
Schlaftrunken richtete Moria sich auf, wußte nicht, warum ihr die Sonne ins Gesicht schien, so lang schlief sie gewöhnlich nicht, dann fiel ihr alles wieder ein, die neun durchtanzten Nächte, ihre Heimkehr im Morgengrauen, Owros.
Noedias Stimme überschlug sich. »Der Herr kommt, er ganz allein, ohne Gefolge, er ist gleich im Hof, hört Ihr –« Hufschlag auf dem Steg über den Graben.
Moria sprang in die Höhe, vom einen Augenblick zum anderen war sie hellwach, sie sah an sich herab, sie hatte im Kleid geschlafen, rasch strich sie es glatt, rückte ihren Rock zurecht, Sahir rannte herein. »Bier oder Met?« rief die Magd atemlos. »Met, den starken, mach schnell! Wai, zieh dich mit deinen Kleinen unter das Gesinde zurück, sorg dafür, daß Lykos dich nicht gleich heute bemerkt!« Morias Worte überstürzten sich, Noedia legte ihr die Halskette um, fuhr ihr mit dem beinernen Kamm durch die Haare und steckte sie mit diesem auf. Wai verschwand mit ihren Kindern durch die Hintertür, Sahir brachte den Willkommenstrunk im Becher. Moria nahm ihn und lief aus dem Haus. Er kommt heim, und ich schlafe den Frühjahrstanz aus! Und Owros –
Lykos war schon vom Pferd gestiegen, stand mitten im Hof. Das Gesinde hatte sich in gehörigem Abstand um ihn versammelt, stand ehrerbietig abwartend. Lykos sprach mit Owros, der sich immer und immer wieder eilfertig verbeugte.
Wenn meine Drohung nicht gewirkt hat, wenn Owros mich doch verrät –
Nein, Owros hat nichts gesagt, ich würde es merken.
»Lykos, mein geliebter Herr und Gebieter, willkommen in deinem Eigentum!« Sie trat zu ihm, trank ihm einen Schluck Met zu und reichte ihm den Becher.
»Danke, Moria. Es tut gut, wieder daheim zu sein. Und dich zu sehen!« Unter seinem Blick wurde sie rot.
Lykos der Bärentöter, der Held des Krieges – er hat sich verändert, älter ist er geworden um weit mehr als die Zeit, die er im Krieg war, und härter – dieser Zug um seinen Mund – habe ich wirklich auch nur einen Augenblick gehofft, er könnte verstehen, er würde mir verzeihen –
Göttin, wenn du mir durch diesen Tag hilfst, wenn du Owros die Lippen verschließt, will ich dir mein Leben weihen.
Sie zwang sich zu strahlendem Lächeln. »Ich war so beschäftigt, deine mögliche Heimkehr vorzubereiten, daß ich sie erst gar nicht bemerkte, verzeih! Darf ich dir deinen Hof zeigen, mein Gemahl?«
Er leerte den Becher und warf ihn hinter sich. Dann zog er ihre beiden Hände an seine Lippen. »Meine Liebe, du darfst. Was ich bisher gesehen habe, versetzt mich in höchstes Erstaunen. Ich komme gerade vom Hof deines Vaters und Bruders – er wird nicht halb so groß und schön, und vor allem ist er bei weitem noch nicht fertig erbaut. Was ich hier vorfinde, ist viel mehr, als ich
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