Die Göttin im Stein
Augenblicke, in denen ihr Gesicht etwas zu erkennen gab, das ihre Ergebenheit Lügen strafte?
Vielleicht wartete sie nur auf eine günstige Gelegenheit zur neuerlichen Flucht? Unwillkürlich ballte er die Faust, riß so hart am Zaumzeug, daß der Hengst sich aufbäumte.
Er beruhigte das Pferd, brachte es zum Stehen und gab dem Aufseher einige Anweisungen. Dann hielt er wieder nach Naki Ausschau.
Sie schaufelte Erde in die Rückentrage und sprach dabei mit der Bäuerin, die neben ihr den Korb füllte.
Ein scharfer Stich fuhr ihm in die Brust: Die Bauern vom Alten Volk verstanden Nakis Sprache, konnten mit ihr reden.
Er konnte es nicht.
Er lenkte sein Pferd nahe an den Karren heran.
Naki und die Bäuerin luden sich ihre Körbe auf den Rücken, stiegen Seite an Seite den Hügel hinauf, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen.
Vertraut sah das aus.
Die kleine Tochter der Bäuerin, die neben dem Karren im Matsch gespielt hatte, folgte den beiden.
Schneller als die Bäuerin leerte Naki ihren Korb.
Die Kleine glitt auf der Böschung des Hügels aus, rutschte ihn bäuchlings hinab, schrie.
Naki drehte sich um, sprang den Hügel hinunter, hob die Kleine auf, wischte ihr den Schmutz aus dem Gesicht, küßte sie, warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf.
Die Kleine gluckste vor Vergnügen.
Da ging ein Strahlen über Nakis Züge, ein Lachen, das ihr Gesicht leuchten ließ.
Zum ersten Mal sah er Naki lachen.
Die Bäuerin war neben Naki angelangt, beide nahmen das Kind an den Händen zwischen sich, sahen sich in wortlosem Einverständnis an und ließen es durch die Luft fliegen, während sie zum Karren gingen. Hell klang Nakis Lachen.
Da plötzlich war Lykos klar, wie er sich Nakis Gehorsam und Nakis Treue mit unerschütterlicher Gewißheit sichern konnte.
Noch einmal würde er nicht den Fehler begehen, die Lehren der Väter zu mißachten.
Er rief die Bäuerin zu sich und befahl ihr, Naki und das Kind vor ihn zu bringen.
Vom Pferd herab sah er mit berechnender Strenge auf die beiden Frauen, nahm mit Befriedigung ihre unverhohlene Angst wahr.
»Wie ist dein Name?« fragte er die Bäuerin.
»Daire, Herr.«
»Du kannst mit ihr sprechen, verstehst ihre Sprache?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf Naki hin.
»Nicht alles, Herr, aber das meiste!« erwiderte die Bäuerin zögernd.
»So sorge dafür, daß sie versteht, was ich dir jetzt sage! Sorge dafür zu deinem eigenen Besten und um des Lebens deines Kindes willen! Wie heißt es?«
»Kori, Herr«, preßte die Frau hervor.
Er sprang vom Pferd, hob die kleine Kori auf, zog seinen Dolch und richtete ihn dem Kind auf die Brust.
Naki schrie auf und preßte sich beide Hände vor den Mund.
Starr hingen ihre Augen an ihm.
Die Kleine in seinem Arm verzog weinerlich das Gesicht und strebte von ihm fort. Da nahm er den Dolch von ihrer Brust und gab sie Naki in die Arme, sah dabei Naki an.
Noch immer Naki mit dem Blick festhaltend, befahl er der verängstigten Bäuerin: »Übersetze Naki genau, was ich dir jetzt sage!
Sag ihr, wenn sie mir ungehorsam ist, werde ich dein Kind dafür bestrafen. Ich schwöre beim Grab meines Vaters: Vor ihren Augen werde ich statt ihrer deine Kori züchtigen. Und sag ihr: Wenn sie von mir wegläuft, werde ich Kori töten. Ich schwöre beim Andenken meines Vaters, daß ich noch am selben Tag dein Kind töten werde! Alle Kinder, die du je geboren hast, je gebären wirst!«
Er drehte sich um, stieg wieder aufs Pferd, wartete nicht mehr, daß die Bäuerin sich aus ihrer Erstarrung löste und Naki seine Worte mitteilte.
Er hatte gesiegt.
Geschäftige Unruhe verwandelte den Hof in einen summenden Bienenstock. Mägde scheuerten rußgeschwärzte, durch den Abdruck von Schnüren kunstlos verzierte Töpfe aus rauhem Ton, kehrten Abfall, Schmutz und verbrauchte Binsen aus dem Haus, buken Brot, brauten Bier und kochten Beerenmus und Würste. Knechte schlachteten Schafe und Ziegen, Schweine und ein Rind und stellten Käse und vergorene Stutenmilch her.
Alles sollte bereit sein für das Hochzeitsfest.
Lykos gab letzte Anweisungen und prüfte noch einmal den Fortgang der Arbeiten. Heute mußte er zum Rösoshof aufbrechen. In drei Tagen würde er seine Braut heimholen.
Er schloß kurz die Augen und versuchte sich das Bild zu vergegenwärtigen: Rösos' Tochter auf der Festwiese, die Schüssel mit Wasser in der Hand.
Es gelang nicht.
Andere Bilder drängten sich auf: Naki nackt auf seinem Lager, im Widerschein des Feuers, wie sie die Arme
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