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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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zu hören. »Mr. Mesmers!«
    Mesmers verharrte in seinen Träumen. Tallow streckte den Arm aus, um den Prediger an der Schulter zu berühren, überlegte es sich aber anders. Er öffnete die Tür und blickte auf die Straße hinaus. In der Einfahrt gegenüber stand ein Mann, der Tallow ansah. Er wandte sofort den Blick ab und schlenderte mit gespielter Ruhe auf die Straße hinaus. Tallow wußte, daß es sich um einen der Spione Florums handelte, spürte es in jeder Bewegung des Mannes.
    Er schloß hastig die Tür, ging zu Mesmers zurück und schüt
telte ihn.
»Was ist los, Tallow?«
    »Jemand hat das Haus überwacht, er muß gesehen haben, wie die Menge ging. Er hat auch mich gesehen. Wir müssen rasch fort.«
    Mesmers seufzte. »Nun gut, wir verschwinden durch den Hinterausgang.«
    Während er noch sprach, wurde vorsichtig an die Vordertür geklopft. Tallow vermutete sofort, daß es sich nicht um ein Glied von Mesmers’ Gemeinde handelte. Es war ein alter Trick von Florums Wächtern. Gegen die Tür schlagen würde alle im Haus alarmieren, während ein vorsichtiges Klopfen auf einen Freund schließen ließ, wie sie meinten. Tallow wußte es besser. Er führte Mesmers rasch durch das Haus auf die Hintergassen hinaus. An beiden Enden eines schmalen Durchgangs warteten Soldaten.
    Tallow schlug das Herz bis zum Hals, der Mund wurde ihm trocken, und während ihn die Furcht packte, versuchte er krampfhaft nachzudenken. Er gab Mesmers einen groben Stoß, schleuderte ihn in einen Hauseingang und folgte schnell. Die Tür war abgeschlossen. Tallow stemmte seinen schmächtigen Körper gegen sie und rüttelte an ihr. Er trat wild und verzweifelt mit dem Fuß dagegen, und sie flog nach innen auf. Dann befanden sie sich in einem kleinen, übelriechenden Raum, der von einem alten Mann in einem abscheulichen Bett belegt war. Ein Feuer schwelte in einem Kamin, und der alte Mann blickte mit fieberglänzenden Augen auf. Er hustete entsetzlich, und über sein Kinn lief Speichel. »Was’s los?« keuchte er. »Räuber? Gesindel? Ist Florum erledigt?«
    »Nein, er sucht uns. Wir werden verfolgt.« Tallow hatte keine Zeit, sich auf eine Unterhaltung mit dem Alten einzulassen. »Wohin geht’s dort?« Er zeigte auf eine Tür. »Auf einer Leiter nach oben, aber …«
    »Danke«, schnaufte Tallow und trieb Mesmers durch die Tür, die er hinter sich zuzog. Sie hatte kein Schloß. Sie hörten, wie die Soldaten den Raum betraten, den sie eben verlassen hatten. Die Worte des Alten klangen hoch und ängstlich, die der Soldaten tief, ungeduldig und zornig.
    »Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Bitte hört auf!«
    Schläge und Drohungen, die flehende Stimme des alten Mannes, die einzigen Worte, die sie deutlich hören konnten. Mesmers wollte in den Raum zurück. »Ich kann ihn nicht wegen mir mißhandeln lassen«, flüsterte er leidenschaftlich mit schmerzerfüllten Augen.
    »Narr!« knurrte Tallow. »Sie sind wichtiger als ein sterbender alter Mann. So hat sein Leben wenigstens einmal einen Sinn gehabt. Kommen Sie schon!« Er packte Mesmers’ zer schlissenes Gewand und schob ihn eine Leiter hinauf. Als sie das Obergeschoß erreicht hatten, machte Mesmers immer noch Anstalten zurückzugehen. Tallow versetzte ihm einen Schlag, traf ihn mit geballter Faust seitlich am Hals, und der alte Mann stöhnte auf, verlor das Bewußtsein. Irgendwo unten ertönte ein gräßlicher, tierischer Schrei, wie der eines Schweins in Todesangst. Er ging in ein schauerliches Gurgeln, ein blubberndes Stöhnen über.
    Tallow zuckte zusammen, als unter ihm Schritte laut wurden und im Eingang zum Obergeschoß ein blutiges Bajonett auftauchte. Er nahm den alten Prediger auf den Rücken, stieg die nächste Leiter hinauf, mühte sich mit ihm, der alle viere von sich gestreckt hatte, ab und blieb einen Augenblick stehen, um die Leiter hinter sich in die Höhe zu ziehen.
    Immer weiter hinauf, durch ein dunkles, schmutziges Labyrinth winziger Zimmer. Manchmal scheuchte er Familien auf, Frauen und Männer, Scharen von Kindern, die sich wie Mäuse im Nest aneinanderschmiegten. Er trieb sie auf seiner wilden Flucht auseinander, und er sah nichts als weiße, erschrockene Gesichter, stocksteife Arme und Körper, die Säcken glichen. Gelegentlich hielt er an, um wieder eine Leiter zu sich hinaufzuziehen, und das Stampfen der Soldaten wurde leiser, es blieb zurück, bis es nicht mehr zu hören war. Tallow blieb stehen, um Luft zu schöpfen. Es schien ihm, als habe ein Feuer die

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