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Die goldene Königin

Die goldene Königin

Titel: Die goldene Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Fluchtmöglichkeit boten, falls die Begegnung sich als gefährlich herausstellte.
    Als sie ihm so nah war, dass sie ihn halbwegs erkennen konnte, überkam sie ein heftiger Schwindel. Es schien, als hörte ihr Herz mit einem Mal auf zu schlagen. Der Mann, der sie beobachtete, saß auf Fildor. Das Pferd blieb völlig reglos und wirkte wie versteinert. Es sah sie aus seinen großen schwarzen Augen an, ohne mit dem Schweif oder der Mähne zu zucken oder auch nur einen Huf zu heben, um zu zeigen, dass es ungeduldig oder wütend war. Verhielt Fildor sich so, weil er Angst hatte?
    Â»Fildor«, schrie sie aus vollem Hals, damit ihre Stimme über den ganzen Platz schallte.
    Daraufhin schlug das Pferd aus und wurde unruhig, als hätte es nur darauf gewartet, dass sie seinen Namen rief. Es warf die Hinterbeine nach oben und brachte den überraschten Mann aus dem Gleichgewicht, der sich festklammerte und beinahe abgeworfen worden wäre. Der Mann richtete sich wieder auf, aber Fildor war noch nicht fertig mit seinen Kunststücken, die Mathilde ihm beigebracht hatte, und er kannte weiß Gott genug Kniffe. Als er spürte, dass sich der Mann wieder gefangen hatte, hob er die beiden Vorderbeine fast waagerecht in die Luft.
    In Mathildes Freude, ihr Pferd wiedergefunden zu haben, mischte sich Angst, dass der Mann sich böse dafür rächen würde, wenn Fildor ihn abwarf und ihn dadurch lächerlich machte.
    Â»Ganz ruhig, Fildor! Ganz ruhig, mein Schöner. Ja! Bleib ganz ruhig, jetzt bin ich ja da«, redete sie auf ihn ein, während sie langsam auf ihn zuging.
    Doch um nicht in eine derart demütigende Situation zu geraten, gab der Mann dem Tier so heftig die Sporen, dass es vor Schmerz wieherte.
    Â»Hört auf, ihn so brutal zu behandeln«, schrie Mathilde. »Ihr müsst nur ruhig mit ihm sprechen, dann gehorcht er.«
    Schließlich sprang Fildor mit einem Satz zu Mathilde. Das Pferd senkte den Kopf, und Mathilde legte ihre Hände auf seine Wangen, streichelte und liebkoste ihn. Sogleich gab sich das Pferd äußerst zufrieden und zuckte mit der Mähne.
    Â»Was macht Ihr auf meinem Pferd?«, fragte sie den Reiter, nachdem sie ihr Gesicht von Fildor gelöst hatte.
    Dass sie hier unten stand und den Kopf in den Nacken legen musste, um mit ihm zu sprechen, gefiel ihr überhaupt nicht. Gerade ihr nicht, die häufiger auf dem Pferd saß, als dass sie mit den Füßen auf dem Boden stand.
    Zwischen dem Mann und dem jungen Mädchen breitete sich Stille aus. Eine schwere, seltsame Stille, als suchte der Fremde nach der Antwort, die die junge Frau von ihm erwartete, während diese ihn mit kühnem Blick musterte. Nach dieser langen Pause, in der er zweifellos nachgedacht und sich gesagt hatte, dass dieses Pferd ihn am Ende noch abwerfen würde, stieg er von dem Tier herunter.
    Er hatte offenbar beschlossen, sich nicht aufzuregen, und sah Mathilde lange mit prüfendem Blick an. Dann stieß er einen Pfiff aus.
    Â»Solange Ihr nicht da wart, hat mir dieses Pferd gehorcht. Angesicht seiner eindeutigen Reaktion, als es Euch sah, kann ich nicht leugnen, dass es Euch gehören muss. Ich kapituliere.«
    Der Mann war ein fairer Spieler. Mathilde seufzte und spürte, wie ihre Kräfte zurückkehrten. Ihr Herzschlag normalisierte sich.
    Â»Dann gebt ihn mir zurück, und lasst mich gehen.«
    Â»Ihn Euch zurückgeben! Einverstanden. Aber Euch gehen lassen!« Der Mann lachte kurz auf, und das junge Mädchen spürte seinen durchdringenden Blick auf sich.
    Â»Warum habt Ihr mein Pferd gestohlen?«
    Â»Oh, merkt Euch, junge Frau, dass ich niemals etwas stehle. Ich lasse andere für mich arbeiten. Was kann ich dafür? Ich bin ihr Anführer.«
    Er streckte den Arm aus und deutete auf die Gehängten, die noch immer am Ende ihres Stricks schwangen. Zum Glück war Mathilde zu weit von ihnen entfernt, um die schwarzen Gesichter zu sehen, die heraushängenden Zungen und die hervortretenden Augen. Auch so würde sie dieser Albtraum noch lange verfolgen. Der Mann zeigte mit dem Finger auf die Leichen und erklärte mit gleichgültiger Stimme:
    Â»Seht sie Euch an. Die sind mir völlig egal, ich kenne sie nicht. Aber noch gestern hing hier einer meiner Freunde. Als ich mit Eurem Pferd hier ankam, hatte man ihn bereits abgenommen. Ich musste unverrichteter Dinge umkehren.«
    Â»Es ist mir egal, wer Ihr seid und was Ihr tut.

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