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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Mülleimer fielen, so deprimierend, als habe sie ihren Namen verloren. »Bist du ein Freund von Jegor?«, fragte sie.
    »Wir haben eine geschäftliche Vereinbarung.«
    »Was heißt das?«
    »Ich spiele Schach um Geld. Das ist ein Geschäft, das leicht gestört werden kann. Ich bezahle Jegor für seinen Schutz.« »Schutz vor wem?« »Vor Jegor hauptsächlich.« »Du kneifst vor ihm? Du wehrst dich nicht?«
    »Das sind Geschäftsausgaben. Es ist schwer, Schach zu spielen, wenn vier Typen sich auf dich stürzen und der fünfte das Brett umschmeißt. Wenn mehr Leute lernen könnten, ohne Brett und Figuren zu spielen, gäbe es keine Probleme. Ich könnte es dir beibringen.«
    »Das Kneifen? Nein, vielen Dank. Vielleicht sollte ich Jegor um Hilfe bitten.«
    »Das würde ich dir nicht raten.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er dich attraktiv findet.«
    »Bist du eifersüchtig?«
    Schenja konzentrierte sich mit großem Ernst auf die Wölbung ihres Schädels. Ihre Kopfhaut schimmerte bläulich und glatt wie eine Billardkugel.
    »Geh ihm einfach aus dem Weg.«
    »Hast du schon mal eine Freundin gehabt?«
    Darauf brauchte er nicht zu antworten. Er mochte zwar ein Genie sein, aber er war noch Jungfrau. Das erkannte sie an der schüchternen Art, wie er die Haare aus ihrem Nacken wegblies. »Jegor hat also hier das Kommando.«
    »Das bildet er sich ein.«
    »Warum hast du ihn nicht nach meinem Baby gefragt?« »Je weniger du von Jegor siehst, desto besser.« »Aber du hättest fragen können.«
    Die Erwähnung von Jegors Namen war wie ein Tropfen Tinte, der ins Wasser fiel: Alles wurde um eine Nuance dunkler.
    »Wie kommt es, dass du hier hereinkannst?« »Ich kenne die Kombination für das Tastenfeld an der Tür.«
    »Du bist ein solcher Lügner. Und überhaupt - kein Mensch spielt Schach um Geld.«
    »Woher weißt du, was die Leute in Moskau tun?«
    Das machte ihr klar, dass sie eine Bäuerin war. Der Rest der Rasur verlief unter Schweigen, bis Schenja sie abfrottierte.
    »Willst du mal gucken?«
    »Nein. Gibt es hier einen Kühlschrank?«
    »Da ist ein Eisfach in der Bar. Wir haben hier alles. Nüsse, Brezeln, Chips ...«
    »Besorgst du mir ein Glas und ein paar Servietten und lässt mich dann allein?«
     
    Aus der Höhe des Kasinos sah Schenja zu, wie Maja sich durch das frühmorgendliche Treiben bei den Drei Bahnhöfen schlängelte. Im Regen sah es aus, als kröchen die Autos übereinander hinweg. Gestern war Maja eine flammende Rebellin in Rot gewesen. Heute war sie eine graue Gestalt mit einer Strickmütze auf dem kahlen Schädel, so gewöhnlich wie eine Krähe. Ohne sich noch einmal umzuschauen, ging sie die Treppe zur Unterführung hinunter und verschwand.
    Er überlegte, ob er Arkadi anrufen sollte - aber was wollte er ihm erzählen? Dass eine Geistesgestörte, die ein imaginäres Baby suchte, seine Hilfe nicht haben wollte? Sie war gekommen und gegangen wie ein schlechter Traum, und sein Messer hatte sie auch mitgenommen. Davon abgesehen wiesen nur ein Nest aus orangeroten Haaren und ein Viertelliterglas Muttermilch im Barkühlschrank darauf hin, dass sie überhaupt da gewesen war. Er hätte Maja nicht hier hereinbringen sollen. Was hatte er sich dabei gedacht? Nicht einmal Arkadi wusste von diesem Versteck. Niemand wusste, dass es ihm gehörte.
    Vor der Schließung hatte das Kasino von Farben vibriert. Draußen hatte die Neongestalt Peters des Großen den Deckel einer Neonkiste voller Kronjuwelen auf- und zugeklappt. Drinnen begrüßte Peter die Spieler als lebensgroße Wachsfigur. In der vollen Größe seiner zwei Meter und in einem pelzverbrämten Mantel aus Goldfäden wies er mit ausgestrecktem Arm den Weg zu den Tischen, an denen mit hohem Einsatz gespielt wurde. Allerdings erkannte man aus einem bestimmten Blickwinkel eine vertraute Krümmung der Mundwinkel, die den Spitznamen »Putin der Große« nahelegte.
    In jener Zeit hatte Schenjas einzige Beziehung zum Kasino »Peter der Große« über einen Wachmann namens Jakow bestanden, der sich für einen ernstzunehmenden Schachspieler hielt, obwohl er nicht mehr als die grundlegenden Eröffnungszüge beherrschte - wie ein Tänzer, der das Diagramm auf dem Boden der Tanzschule abschreiten konnte. Wenn er das Jackett aufschlug, um es sich bequem zu machen, schaute sein Schulterhalfter heraus. Jeden Dienstagabend spielten sie am Büfett im Jaroslawler Bahnhof, und Jakow quälte sich mit jedem Zug, weil es offenbar keinen Angriffsplan gab, der so einfach war, dass er ihn

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