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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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angenommen hatte, Waksberg werde Anja beschützen, und dass diese Annahme anscheinend falsch gewesen war. Selbstgefällig, genau gesagt.
     
    »Schlimme Nacht?«
    »Ich kann jetzt nicht reden«, sagte Willi. »Wir haben zwei Jungen hier, die sich auf dem Gartenring ein Autorennen geliefert habe, einen Klebstoffschnüffler, einen Obdachlosen mit Lungenentzündung, einen Sturz aus großer Höhe, eine durchgeschnittene Kehle und jetzt noch diese drei Erschossenen. Sie haben mich dienstverpflichtet.«
    »Ist einer von den dreien ein Zwerg?«, fragte Arkadi.
    Willi ließ sich Zeit mit der Antwort. Arkadi hörte das Knacken einer Rippenschere im Hintergrund.
    »Ja.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Macht auch nicht weniger Arbeit. Die Leute denken: Oh, ein Zwerg, das geht schnell. Weit gefehlt. Es gibt verschiedene Arten von Zwergen und ungewöhnliche Faktoren.«
    »Ich dachte, er wurde erschossen.«
    »Ja.«
    »Das ist der entscheidende Faktor.«
    »Quatsch nicht so schlau. Ich sollte eigentlich gar nicht mit dir sprechen.« »Wer sagt das?«
    »Der Direktor. Und Staatsanwalt Surin. Surin sagt, er will dich entlassen. Stimmt das?«
    »Ist nicht so wichtig«, sagte Arkadi.
    Er musste behutsam vorgehen. Er hatte keinerlei Befugnisse. Es war, als werfe er eine kleine Fliege an einer leichten Schnur in eine Delle im Wasser, wo vielleicht ein Fisch sein könnte.
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, es ist eine ernste Sache, jemanden anzuweisen, einen Obduktionsbericht zu ändern. Es steht in deiner Macht ...«
    Willi legte auf.
    Na, das war schwach, dachte Arkadi. Er hatte Psychologie benutzt, wo Erpressung nötig gewesen wäre. Sein Handy vibrierte. Willi war wieder da. »Entschuldige, ich musste mir eine Zigarette holen.« »Lass dir Zeit.«
    »Folgendes ist passiert. Surin und der Direktor haben mich angewiesen, die Lunge des Mädchens noch einmal zu öffnen. Inzwischen war der Äthergeruch verflogen. Sie sagten, wenn ich meinen Befund nicht reproduzieren könne, müsse man den Obduktionsbericht revidieren.«
    »Kann man den Äther nicht noch anders nachweisen?«
    »Nicht nach der Einäscherung.«
    »Und wo ist der Zwerg?«, fragte Arkadi.
    »Liegt hier unter einem Laken. Wir warten auf einen Tisch.«
    »Ist er identifiziert worden?«
    »Nein. Wir wissen nichts über ihn.«
    »Heb das Laken hoch«, sagte Arkadi. Er wartete.
    »Oh. Okay. Jetzt wissen wir etwas.«
    »Ist er blau?«
    »Blau tätowiert. Vom Schlüsselbein bis zu den Handgelenken. Er ist ein Knacki«, sagte Willi.
    Gefängnistätowierungen wurden mit einem spitzen Nadeln und einer »Tusche« aus Urin und Ruß gemacht. Unter der Haut wirkte der Farbstoff blau und leicht verwaschen. Knasttattoos waren mehr als Kunst: Sie waren autobiographisch. Für den, der diese Symbole lesen konnte, war ein tätowierter Mann wie ein offenes Buch.
    »Was siehst du?«, fragte Arkadi.
    »Alles Mögliche. Madonna mit Kind, Tränen, Katzen, Spinnennetz, Eisernes Kreuz, blutiger Dolch, Stacheldraht, ein gekreuzigter Christus. Das volle Programm.«
    »Wenn wir aufgelegt haben, machst du mit deinem Handy Fotos von Dopeys Tattoos und schickst sie mir.« Arkadi schaute aus dem Fenster und sah Viktor, der um das Schlagloch herumging. »Ein Fachmann ist schon auf dem Weg hierher. «
     

ZWANZIG
    Itsys Familie bestand aus einer narkotisierten Mutter und einem gewalttätigen Vater. Deren Haus war ein gestrandetes Schiff: schmutzige Kleider und leere Flaschen, die zur Seite gerollt waren, Rechnungen auf dem Fußboden flachgetreten, und die halbe Zeit war der Strom abgestellt. Der Alte züchtete Hunde für Security-Firmen. Schäferhunde, Rottweiler. Damit war Geld zu machen, aber dieses Geld jagte ihr Vater durch die Gurgel, und wenn doch etwas davon zu Hause ankam, war es ein Versehen. Er roch wie die Hunde. Des Menschen bester Freund. Treu.
    Als Itsy neun wurde, waren ihre älteren Brüder bereits weggelaufen. Waren aus dem Geschäft der Familie ausgestiegen, aus einem blühenden Unternehmen, das eines Tages ihnen gehört hätte, wenn ihrem Vater - was Gott verhüten möge - etwas zustoßen sollte. Auch das Grundstück war nicht schlecht, wenn Moskau sich irgendwann in diese Richtung ausdehnen sollte - das ließ er jeden wissen, der zwischen ihm und einer Mauer klemmte. Es gab immer wieder Zeiten, da versäumte Itsy die Schule, weil sie keine Schuhe hatte. Ihre Eltern störte es nicht, dass sie kaum mehr als das Alphabet und die Zahlen gelernt hatte, und wenn die Schule jemanden schickte, der

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