Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
zusammengekniffenen Augen starrte er in die Finsternis und wies zur linken Seite. »Da ist ein Schuppen. Sieh nach, ob du etwas findest, was wir benutzen können.«
Während Piet vorsichtig die Schuppentür aufzog und im Inneren verschwand, bog Baldo um die Ecke des Gebäudes und hielt nach einer Leiter Ausschau. Auf einmal spürte er etwas Spitzes im Rücken, während sich gleichzeitig ein starker Arm um seinen Hals legte und ihn zurückriss.
»Was schleichst du hier herum, verdammt?« Der Sohn der Wirtin!
»Ich bin Adam. Du kennst mich doch. Meine Frau, sie arbeitet hier«, presste er hervor. »Ich wollte nach ihr sehen.«
Der Mann hielt ihn weiter umklammert. »Um diese Zeit? Du lügst doch. Gehören dein Weib und du zu einem dreckigen Gesindel, das uns ausrauben will?«
»Nein«, keuchte Baldo. »Nimm endlich den Dolch weg, oder willst du mich umbringen?«
Der stechende Schmerz in seinem Rücken ließ nach, aber der Arm, mit dem das Pockengesicht ihn umfing, blieb eisern.
»Wer weiß, was ihr alles auf dem Kerbholz habt«, knurrte der Kerl. »Ich sperr euch in den Schuppen und hol die Büttel!«
»Das kannst du vergessen, Schwachkopf«, hörte Baldo eine zweite Stimme hinter sich.
Ein dumpfes Geräusch ertönte, der Griff um Baldos Hals lockerte sich, und der Sohn der Wirtin fiel mit einem gequälten Aufstöhnen zu Boden. Hinter ihm stand Piet, eine dicke Holzlatte in der Hand.
»Das wurde aber auch Zeit«, brummte Baldo, während er nach seiner Kehle griff.
Piet formte mit den Händen einen Trichter. »Cristin!«, rief er. »Bist du da?«
Über ihnen knarrte es leise, und im Halbdunkel wurde ein Fensterladen geöffnet. Dann steckte Cristin den Kopf zum Fenster hinaus. »Baldo und Piet, seid ihr das?«
»Ja. Geht es dir gut?«, fragte Baldo.
Cristin nickte.
»Ja, schon. Aber ich will hier weg, bitte.«
»Dann beeil dich, damit wir schnell verschwinden können, bevor der Hundsfott zu sich kommt.«
»Das geht nicht. Die Wirtin lässt abends die Kammern zusperren. Ich muss aus dem Fenster springen.«
»Spring ruhig, ich fange dich auf.«
Sie zwängte sich durch die enge Fensteröffnung und landete in Baldos ausgebreiteten Armen. Während sie ihre Kleider richtete, erklang auf dem Boden ein Stöhnen.
»Verpass ihm noch eins«, schlug Baldo vor.
Piet schüttelte den Kopf und warf die Latte fort. »Der hat vorerst genug. Lasst uns lieber verschwinden.«
Er nahm seine Schwester am Arm, und gemeinsam liefen die drei zurück. Erst als sie sicher sein konnten, nicht verfolgt zu werden, blieben sie im Schutz einer Häuserecke stehen, um zu verschnaufen.
Im Mondlicht wandte Baldo sich Cristin zu. »Ist dir etwas passiert? Haben die Schweine dich … dich etwa geschlagen?«
»Nein, keine Sorge, Baldo. Ich erkläre dir alles später. Lass uns gehen.«
Piet legte ihr eine Hand an die Wange. »Wohin, Schwester? Sag uns die Zukunft voraus, Zigeunerin – wie geht es weiter mit uns drei Vagabunden?«
»Wir müssen hier weg, bevor man uns entdeckt«, murmelte Cristin, während sie an den beiden vorüberging und den Weg geradeaus zur Untertrave einschlug. Piet und Baldo sahen sich schulterzuckend an und folgten ihr zum Hafen hinunter, bis sie am Kai kurz stehen blieb und unverwandt auf das geschäftige Treiben blickte. Ein Schiff wurde gerade mit Fässern und Kisten beladen, Männer riefen einander Befehle in einer fremden Sprache zu. Schweigend eilte Cristin weiter, ohne auf die verwirrten Mienen ihrer Begleiter zu achten. Nahe der Engelsche Grove hielt sie inne. Sie sah sich nach allen Seiten um, trat schließlich in das Dunkel eines Hinterhofes, der sich zwischen zwei Patrizierhäusern erstreckte, und zog die beiden mit sich.
»Also, das letzte Mal, als ich in eine finstere Ecke gezogen wurde«, kicherte Piet, »war es ein hübsches Mädchen, das …«
»Verschone uns mit den Einzelheiten, Narr«, unterbrach Baldo ihn unwirsch.
Cristin meinte trotz der Dunkelheit erkennen zu können, wie Baldo mit den Augen rollte, sie verspürte allerdings wenig Lust, auf die Witzeleien einzugehen.
»Ich habe nachgedacht«, erklärte sie mit abgewandtem Gesicht. »Wir werden eine weite Reise machen müssen.«
»Fein, liebste Zigeunerin. Victorius, der Narr, folgt dir auf dem Fuße. Im Reisen bin ich geübt.« Im Schein des Mondes sah sie, wie Piet eine Verbeugung andeutete, und seine Augen blitzten . »Wohin soll die Reise gehen?«
Baldo nickte. »Das würde ich auch gern wissen.«
»Wir müssen nach Polen«,
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