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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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dem Baldo sein Hinken verdankte. Unwillkürlich wandte sie den Kopf. Ob es hier wilde Tiere gab, Wildschweine oder gar Bären? Hatte sie nicht mal gehört, Wölfe würden Polens Wälder durchstreifen? Sie unterdrückte ein Seufzen, doch der Junge hatte es bemerkt und hob den Kopf. Ob er ihre Sprache verstand?
    Baldo hatte anscheinend denselben Gedanken. Er beugte sich zu ihm hinunter und sprach betont deutlich. »Ich bin Adam.«
    »Adam?«, wiederholte der Junge leise.
    »Adam, genau. Das ist mein Name.« Jetzt tippte er dem Jungen vorsichtig auf die Brust. »Wie heißt du? Wie ist dein Name?«
    Der Kleine schien zu überlegen. Cristin wollte Baldo schon in die Seiten knuffen, als er den Mund öffnete. »Janek.«
     
    Baldos Brauen hoben sich. Er setzte zu einer Erwiderung an, aber Cristin brachte ihn mit einem mahnenden Kopfschütteln zum Schweigen. Sollte der Junge tatsächlich ihre Sprache nicht nur verstehen, sondern auch sprechen, konnte er ihnen immer noch erzählen, was sich in seinem Dorf ereignet hatte. Sie drehte sich um. Zwischen dem dichten Blattwerk der Bäume und dem Gestrüpp war das zerstörte Dorf gut zu erkennen. Ihr Bruder und Lump, die mit schnellen Schritten dem Waldrand zustrebten, schienen wohlbehalten zu sein.
    »Ich habe dreiundzwanzig Tote gezählt, außerdem zwei Schwerverletzte. Eine alte Frau konnte mir noch sagen, dass ein paar Leute in den Wald geflohen sind«, berichtete er, als er wieder vor ihnen stand, und sah sich suchend um. »Habt ihr jemanden bemerkt?«
    Cristin schüttelte den Kopf.
    »Bis jetzt nicht. Sicher sind sie tiefer in den Wald hineingelaufen.« Sie deutete auf den Jungen. »Aber wir wissen jetzt, dass der Junge Janek heißt.«
    Als sie seinen Namen nannte, fühlte sie seinen traurigen Blick auf sich ruhen. Seine Finger waren kalt, als er sie in ihre Hand schob.
    »Hat er sonst noch etwas gesagt? Über das, was hier geschehen ist und warum?«
    »Nein«, unterbrach Cristin ihren Bruder ernst. »Wir werden ihn auch nicht bedrängen.«
    »Ja. Lassen wir ihn in Ruhe. Obwohl – ein wenig Polnisch habe ich beim Herumziehen gelernt. Hab mal mit einem Narren zusammengearbeitet, der aus Polen stammte und mir einiges beigebracht hat.«
    »Das ist gut. Wird uns sicher helfen, wenn wir weiterreisen«, meinte Baldo.
    »Was ist mit den Verletzten?«, wollte Cristin wissen. »Du hast von zwei Schwerverletzten gesprochen.«
    Piet wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich fürchte, ihnen ist nicht mehr zu helfen. Diese armen Menschen werden sterben, wir können nur hoffen, dass sie nicht allzu lange leiden müssen.«
    Sie schwieg. Sollte der Tod hier wirklich den Sieg davontragen? Niemand würde den Sterbenden die letzte Kommunion reichen, niemand die Totenglocke läuten, weil auch der Priester nicht mehr lebte oder in die Wälder geflohen war. Vielleicht würde der Junge eines fernen Tages so weit sein, von dem zu berichten, was hier geschehen war. Janek schaute zum Himmel hinauf und schien zu lauschen. Wie still es auf einmal ist, dachte sie. Die Krähen, die eben noch über dem Dorf gekreist hatten, waren verschwunden. Sie zog den Umhang enger um ihren Leib. Übelkeit stieg in ihr auf, und ein bitterer Geschmack füllte ihren Mund. Vermutlich taten sich die Vögel bereits am Fleisch der Dahingemetzelten gütlich.
    Sie drehte sich zu Baldo um. »Sollten wir nicht wenigstens die Toten begraben?«, fragte sie und wusste im selben Moment, dass dies unmöglich war.
    Baldo schüttelte den Kopf. »Wir können hier nichts mehr tun, weder für die Lebenden noch für die Toten«, sagte er mit finsterer Miene. »Außerdem könnte diese gottverdammte Mörderbande jederzeit zurückkommen! Wir müssen hier verschwinden.«
    »Nein!« Sie baute sich vor ihm auf. »Das kann ich nicht.« Ohne auf Baldos Protest zu achten, beugte Cristin sich zu Janek hinunter. »Hör mir zu. Ich muss nach den Verletzten sehen.« Sie streichelte seine Wange und zwang sich zu einem Lächeln. »Verstehst du, was ich sage?«
    Der Junge nickte zögernd.
    »Ich möchte, dass du bei Adam und Piet bleibst. Sie werden auf dich aufpassen.«
    Janek kämpfte mit den Tränen und schlang die Arme um ihre Taille.
    »Ich bin bald zurück.« Sie strich ihm einige wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Du bist schon groß. Kann ich mich auf dich verlassen?«
    Der Junge ließ sie los und senkte den Kopf.
    »Danke, Janek.«
    Baldo trat ihr in den Weg. »Du wirst nicht gehen«, presste er hervor. Er fasste nach ihrem Oberarm

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