Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Familie, bei Menschen, die für ihn sorgten. Und doch … Der Gedanke, den Jungen zurückzulassen, schnitt ihr ins Herz. Bald schon, wenn der Frühling Einzug hielt, würden sie aufbrechen. Heim nach Deutschland und in eine ungewisse Zukunft. Es war nur recht, den Jungen hier zu lassen – wenn er denn wollte. Doch seine Antwort kannte sie bereits. Überglücklich würde er sein.
»Ich weiß, du wirst ihn vermissen. Aber Piet, Adam und du seid jederzeit auf meiner Burg willkommen.«
Cristin sah auf. »Gott segne Euch, Majestät.« Sie scharrte mit einem Fuß einige brüchige, gefrorene Blätter beiseite. »Es ist nur … ich glaube, ich habe nie ganz die Hoffnung aufgegeben, ihn mit mir nehmen zu können. So töricht es auch sein mag.«
Jadwiga nickte nur.
»Lasst mich bitte mit ihm reden, ja? Ich habe ihn gefunden, damals nach dem Überfall der Deutschritter.«
»Natürlich, Agnes. Aber nun komm zurück zur Kutsche, wir wollen heim. Am Nachmittag erwarte ich den König zurück, er soll angemessen empfangen werden.«
Die Worte der polnischen Regentin klangen, als würde sie in eine bittere Speise beißen.
15
W ie hat Janek die Nachricht aufgenommen?« Piet streckte die Füße nahe dem Kamin aus, um sich zu wärmen.
»So ähnlich wie ich, Bruder. Er war überrascht und freute sich, aber später weinte er. Ich denke, er braucht Zeit, um sich an den Gedanken des Abschieds zu gewöhnen.« Cristin wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Handspindel zu, doch der Faden verschwamm vor ihren Augen. »Obwohl es so aussieht, als ob wir nicht allzu schnell zurückkehren könnten.« Sie blickte auf. »Es gibt keine einzige Spur, die zu Lüttke oder Lynhard führt. Nicht einen Hauch.« Mit einem Ruck erhob sie sich von ihrem Schemel und begann in der Kammer auf und ab zu wandern. »Ich fühle mich so hilflos, Piet. Irgendwo in Lübeck wartet Elisabeth auf mich. Und ich? Ich sitze hier und lasse es mir gut gehen, während diese Schurken uns an der Nase herumführen!« Sie warf ein Holzscheit in den Kamin.
»Ruhig, Schwes…«
»Ach, hör schon auf«, unterbrach sie ihn mit einer hastigen Handbewegung. »Vermutlich haben diese Verbrecher bereits andere Mädchen verschleppt, solche, die von niemandem vermisst werden. Du hast doch gehört, was sie mit ihnen anstellen!« Cristin fröstelte. »Aber du hast es gewiss nicht besonders eilig, die Heimreise anzutreten, nun, da du eine Liebste hast, habe ich recht?«
Piet, der vorher die Hände in den Schoß gelegt hatte und wirkte, als könnte er kein Wässerchen trüben, wechselte die Gesichtsfarbe. »Nun, ja«, wich er aus. »Marianka bedeutet mir viel. Mehr, als ich je für ein Mädchen empfunden habe. Das heißt allerdings nicht, dass ich die Schweine nicht finden will, die dir das alles angetan haben, Cristin.« Er stand auf, trat zu ihr und bettete ihren Kopf an seiner Schulter. »Wart’s nur ab, bis dir die Liebe begegnet …« Piet hob ihr Kinn. »Obwohl, wenn ich es recht betrachte, ist es schon geschehen, oder?« Sein Blick schien ihr Innerstes zu erforschen.
»Nein, wie kommst du darauf?«
Er grinste auf diese unverschämte Weise, die ihm eigen war. »Mir kannst du nichts vormachen, Schwester. Ich bräuchte nur in deine Gedanken …«
»Untersteh dich!« Sie entwand sich seinem Griff und trat ans Fenster. »Es ist alles so … so schwierig.«
»Sprich mit ihm.«
»Wo denkst du hin? Soll ich ihm etwa hinterherlaufen?«
Piet näherte sich ihr und strich ihr über die Wange. »Seid ihr nicht gemeinsam durchs Fegefeuer gegangen? Warum zauderst du und fragst ihn nicht selbst, was ihn quält?«
Cristin schwieg eine Weile, dann drehte sie sich zu ihm um. »Hat deine Marianka eigentlich eine Schwester?«
»Nein, nur zwei Brüder. Warum willst du das wissen?«
»Weil ich glaube, dass Baldo auch mit jemandem tändelt.«
Als Piet sie nur stirnrunzelnd betrachtete, senkte sie die Lider. »Wäre das so abwegig? Morgens in der Frühe reitet er fort und kommt selten vorm Abendessen zurück. Es muss da jemanden geben, mit dem er sich trifft. Was sollte er sonst den ganzen Tag treiben?« Sie spürte ihr Herz schmerzhaft pochen. »Und dann diese Seligkeit in seinem Gesicht. Er ist verliebt, Piet, auch wenn er es nicht zugeben will.«
»Hast du ihn gefragt?«
Sie nickte. »Vor ein paar Tagen schon, aber er hat seltsam reagiert.«
»Ja, die Liebe ist ein gar seltsames Ding«, trällerte der Bruder, lachte ihr ins Gesicht und wirbelte sie auf dem Absatz herum, bis ihr
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