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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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er empfand. Jäh zuckte ein stechender Schmerz durch seine Schläfen. Baldo schwankte und stützte sich auf Cristin. »Ich muss … muss mich setzen.«
    »Was ist mit dir?« Sie führte ihn zu ihrer Schlafstatt.
    Schwer ließ er sich auf die Decke sinken. »Kopfschmerzen, nichts weiter«, wich er aus, aber hinter seinen Augen dröhnte es wie Hammerschläge. Cristins erregte Stimme drang gedämpft, wie hinter einem dicken Vorhang, an sein Ohr, und die Umgebung verschwamm. Bilder in rascher Folge begannen sich vor ihm zu bilden, Farben und Formen, Gerüche von Kaminfeuern, eine helle Stimme, die ihn beim Namen rief. Darauf eine zweite. Dunkles Männerlachen und das Klappern von Geschirr. Er fühlte sich hochgehoben und getragen, helles, glattes Haar fiel auf sein Gesicht. Dann sah er die Frau. Sie küsste ihn auf die Stirn, murmelte etwas, das er nicht verstand. Mutter. Hinter ihr ein Mann mit buschigen Brauen und dunklen, vollen Haaren. Ein Augenpaar, das ihn stumm betrachtete.
    Seine Sicht klärte sich so rasch, wie sie verschwommen war. Baldo fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um die letzten Reste des Gesehenen zu verscheuchen, und atmete tief ein.
    »So sag doch was, Liebling! Du machst mir Angst!« Cristins Stimme überschlug sich.
    »Schon gut.« Wie ein trockener Schwamm war sein Mund. Er befeuchtete seine Lippen und setzte sich auf. »Ich habe mich wieder an etwas erinnert. Mein Gedächtnis, ich glaube … Mein Gott.«
    Warme Hände schoben sich in seine. »Wirklich?« Ihre Stimme überschlug sich. »Oh, wie schön!« Sie schlang ihm die Arme um den Nacken.
    In seinem Gesicht zuckte es. Die Maske der Selbstbeherrschung, die Baldo zu tragen pflegte, bröckelte.
    »Es war nur kurz. Nur ein Augenblick, Cristin. Aber … aber ich habe mich an meine Mutter erinnert, an ihre sanften Hände, die hellen Haare, die … die mich an der Wange kitzelten, wenn sie sich über mich beugte.« Er machte sich von ihr los, damit sie die Tränen nicht sah, die seinen Blick verschleierten. Sie ließ ihn gewähren. »Mein Vater. Ich … ich habe ihn gesehen. Wie er einst gewesen ist.« Er verstummte, spürte im selben Moment Cristins Hände, die ihn umdrehten.
    »Wie sah er aus, Baldo? Woran kannst du dich erinnern?«
    »Ein dunkler Zopf, beinahe schwarz«, murmelte er und fixierte einen Punkt an der Wand. »Dicke Brauen, die seinem Gesicht etwas Finsteres geben. Seine Augen, ja, es war, als könnte er in mein Innerstes schauen. Er war so ernst.«
    Cristin war es, als würde ihr der Boden unter den Füßen fortgezogen, und sie ließ sich schwer auf einen Sessel sinken.
    »Was ist mit dir, Liebes?«
    Sie hob den Kopf. »Er… ich glaube… Er war es, ganz sicher.«
    Baldo strich ihr über die Wange, registrierte ihre weit aufgerissenen Augen. »Du sprichst in Rätseln. Wer war er?«
    »Dein Vater.« Sie atmete tief. »Er war damals im Zelt und hat sich von mir aus der Hand lesen lassen. Ich habe es dir nie erzählt.« Dann berichtete sie ihm von der Begegnung mit diesem Fremden und den seltsamen furchteinflößenden Bildern, die sich ihr aufgedrängt hatten, als sie seine Hände nahm.
    Baldo versteifte sich, während er ihren Worten lauschte. Sein Vater, der Henker. Die geschilderten Eindrücke passten zu seinen kurzen Erinnerungen. »Du hast recht, Cristin. Er muss es gewesen sein.« Er fuhr sich durch die dichten Haare. »Weißt du, er war nicht immer so bitter und grausam. An seinem Blick konnte ich es sehen.« Baldo lächelte dünn. »Bisher dachte ich immer, nun … ja, ich glaubte, meine Kindheit hätte nur aus Groll, Tod, Blut und Dunkelheit bestanden.« Er wischte sich über das Gesicht. »Aber das ist nicht wahr, weißt du? Sie … sie haben mich geliebt, jeder auf seine Weise.«
    Wortlos schmiegte sie sich an ihn, dann nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn lang und innig. »Wie schön, Liebster. Obwohl ich es geahnt habe.«
    »Wie konntest du es ahnen?« Verständnislos betrachtete er sie.
    In ihren Augen war ein Blitzen. »Wer nie Liebe erfahren hat, kann auch keine geben. Und du hast so viel davon in dir, dass es nicht anders sein konnte.«
    Alles in ihm war in Aufruhr, und seine Augen wurden feucht. In seinem Leben hatte es also auch Licht gegeben – und Liebe. Wenn es auch nur dieser eine Moment gewesen wäre, für ihn war er so kostbar, dass er ihn nie vergessen wollte.

16
     
    B aldo, du siehst so verdrießlich drein. Was ist los, alter Freund?«
    Der Angesprochene unterbrach seine unruhige

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