Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
fort. Ihr Blick war offen und ließ den seinen nicht los, bis ihre Miene diese Entschlossenheit annahm, die er nur allzu gut an ihr kannte. Sie verstärkte den Druck auf seine Schulter, reckte ihr Kinn.
»Baldo Schimpf, du bist ein ahnungsloser Tropf!«
Er stutzte.
Cristins Atem ging stoßweise. »Wenn du nicht endlich …«
Er starrte auf ihre Lippen, unfähig zu begreifen, und sein Körper war gespannt wie eine Sehne. Mit angehaltenem Atem fühlte er, wie sie seine Hand ergriff und jeden seiner Finger einzeln liebkoste.
»Verstehst du denn nicht, du sturer Esel? Du sollst mich endlich küssen!«
»Was redest du denn da, Weib? Du bist nicht für mich gemacht.« Beinahe erschrak er selbst über die Härte, mit der er sprach.
Ihre Augen blitzten. »Ach nein?« Sie trat näher, so nahe, dass er ihren Puls in der Halsbeuge sehen konnte. »Sieh mich an, Baldo.«
Die Lippen fest zusammengepresst, tat er, worum sie ihn gebeten hatte. Nur einmal das rotblonde Haar berühren, das ihr schönes Gesicht umrahmte. Seine Finger fühlten die Weiche, sein Herz flog ihr entgegen. Endgültig. Auf einmal lagen seine Lippen auf ihren. Nichts war mehr von Bedeutung, nichts, außer dem weichen Mund, der seinen Namen flüsterte, und den Armen, die sich zärtlich um seinen Hals legten. Ihm war, als würde er sich ausdehnen in ihrer Wärme und endlich zu einem Ganzen werden. Sein Herz schlug im selben Rhythmus wie ihres. Eng aneinandergeschmiegt standen sie da, als wäre die Zeit stehen geblieben. Küssten sich immer wieder.
»Du … du hast mich gefunden«, stammelte Baldo atemlos, als er sich schließlich von ihr löste.
»Gewiss, werter Herr Schimpf. Von Euch war ja nichts zu erwarten«, konterte Cristin mit einem kecken Zwinkern und lehnte sich leicht gegen seine Brust.
Er blinzelte und schob seinen schönsten Wunschtraum beiseite. Es konnte nur ein Wahn sein, der ihm diese Bilder und Gefühle vorgaukelte. Ihn, den verfluchten Sohn des Henkers, wollte diese herrliche Frau lieben? Ein tiefer Atemzug und er nahm seinen ganzen Mut zusammen, um die Augen zu öffnen.
Cristin hauchte ihm einen Kuss auf die Nase.
»Das geht nicht, Mädel!« Mit den Händen fuhr er sich über das Gesicht, Schwäche breitete sich in ihm aus. »Kein guter Einfall, nein, überhaupt nicht«, hörte er sich selber murmeln. Abrupt wendete er sich ab und nahm eine Wanderung durch die Kammer auf.
Sie stellte sich ihm in den Weg, die Hände in die Hüften gestemmt, die Lippen noch feucht von seinen Küssen. »Und wieso nicht, Baldo?«
»Du hast etwas Besseres verdient«, antwortete er mühsam beherrscht und wagte nicht, ihren Blick zu erwidern. Sonst würde er sie an sich ziehen und nie mehr loslassen.
Ihre Augen wurden zu Strichen. »Du hast Angst, nicht wahr?«
Er fuhr zusammen.
»Du fürchtest dich, weil ich dich will.«
»Unsinn!«
»Du hast Angst, weil ich außer dir niemanden an meiner Seite haben möchte.«
»Treib keine Spielchen mit mir, Weib«, zischte Baldo. »Auch ich bin nur ein Mann, und meine Geduld ist am Ende!«
Cristins Lächeln traf ihn bis ins Mark. »Dann geht es dir wie mir, mein Lieber. Nimm mein Herz oder lass es bleiben. Es gehört dir.«
Sein Kopf schwirrte. »Du … du meinst es ernst, oder?«
»Worauf du dich verlassen kannst, Baldo Schimpf.«
Er wollte protestieren, aber es war längst zu spät. Er riss sie an sich, bettete seinen Kopf in ihrer Halsbeuge und sog ihren vertrauten Duft ein, wie er es schon früher getan hatte. Zart war ihre Haut, sie schien unter seinen Lippen zu pulsieren und zu glühen. »Du überlegst es dir auch nicht anders?«, brummte er an ihrem Ohr.
»Nein, niemals.«
Ein wenig hielt er sie von sich ab. »Wenn wir wieder in Lübeck sind, werde ich eines Tages mein Erbe antreten müssen, das weißt du?«
Cristin nickte ungerührt.
»Du willst eines Tages das Weib eines Henkers sein, eines von der Gesellschaft Ausgestoßenen?«
»Wenn der Herr dies für mein Leben beschlossen hat, soll es so sein, Baldo.«
»Du hast es so gewollt, Liebes«, flüsterte er und suchte ihren Mund, um ihn erneut mit seinen Lippen zu verschließen. Staunen erfüllte ihn, denn er konnte nicht genug bekommen von ihren scheuen Liebkosungen. Ewigkeiten später löste er sich von ihr, atemlos, mit nur mühsam zurückgehaltenen Gefühlen. Ihm war, als würde sein Innerstes sich nach außen kehren. Mit heftig klopfendem Herzen sah er sie an. Wollte etwas sagen, doch ihm fehlten die Worte, die ausdrücken könnten, was
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