Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
auf die Planken.
21
V orwärts!« Eine Hand packte Cristin am Arm und zerrte sie zwischen den Aufbauten und durch einen Wust von Tauwerk über das Deck des fremden Schiffes. Prompt stieß sie sich den Fuß an einer Kiste und schrie auf, doch der Mann schob sie weiter bis zu einer breiten Luke, die sich dunkel wie der Schlund eines Ungeheuers vor ihr auftat. »Runter mit dir! Und der räudige Köter gleich mit.«
Baldo, schoss es ihr durch den Kopf. Was war mit ihm? Tränen verschleierten ihr die Sicht, während ihre Füße nach den Stufen der Leiter suchten und ins Leere traten. Cristin verlor den Halt, stürzte hinab und landete auf den feuchten Planken, als sich über ihr der Lukeneingang verdunkelte.
»Runter mit der Töle«, hörte sie jemanden rufen, gefolgt von lautem Aufjaulen. Sie konnte das schwere Tier gerade noch auffangen, und Lump drängte sich ängstlich an sie.
»Wo ist dein Herrchen?« Ihre Stimme klang rau. »Wo ist Baldo?«
Der Hund hob den Kopf und sah sie aufmerksam an, als verstünde er jedes Wort. Sie hockte sich auf den glitschigen Boden und vergrub das Gesicht in den Händen. Da, ein Stöhnen. Sie wandte den Kopf und versuchte im Schummerlicht etwas zu erkennen. »Baldo?«
Ein Ächzen war die Antwort.
»Hier hinten … bei den Strohballen.«
Auf Händen und Knien rutschte sie in Richtung der Stimme, bis sie im Halbdunkel eine am Boden sitzende Gestalt ausmachte. Lump bellte, diesmal vor Entzücken, und leckte seinem Herrn über die Hand.
»Guter Junge, mach Platz.« Baldos Stimme klang weich.
»Ich bin so froh, dass du lebst. Ich dachte, er hätte dich …«
»Umgebracht? Viel hat wohl nicht gefehlt. Eins dieser Schweine hat mir irgendwas über den Schädel gezogen.« Im Zwielicht sah sie, wie sich eine Hand nach ihr ausstreckte. »Komm her.«
Sie kroch zu ihm hinüber und schmiegte sich in seine Arme. »Was mögen die Räuber mit uns vorhaben?«
»Was weiß ich«, überlegte Baldo laut. »Was sollen die Vitalienbrüder schon mit uns anfangen? Nach allem, was man so hört, haben die Kerle es auf die in den Koggen geladenen Waren abgesehen, nicht auf die Mannschaften.«
Cristin dachte an Gottfried und seine Männer. Einige von ihnen hatte sie von Pfeilen getroffen zusammenbrechen sehen, und gewiss waren etliche von ihnen tot. Ob es weitere Überlebende gab, die von den Piraten gefangen genommen und auf ihr Schiff gebracht worden waren? Sie blickte sich im Laderaum um, und nachdem sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erfasste sie die Lage.
»Hier liegen noch ein paar Männer. Ob sie verletzt sind?«, flüsterte sie, während sie dichter an Baldo heranrückte.
Die Luke öffnete sich, Licht flutete herein.
»Zur Seite da unten!«, brüllte jemand. Im nächsten Moment flog ein Tuchballen, gefolgt von einem großen Bündel zusammengeschnürter Pelze – von dem gekaperten Schiff erbeutete Waren -, herab und landete auf dem Boden. Dies wiederholte sich noch ein knappes Dutzend Mal, bis die Luke zugeschlagen wurde. Wieder saßen Baldo und Cristin im Halbdunkel, während über ihnen laute Kommandos erschollen. Auch schien sich das Schiff zu bewegen. Cristin wurde bleich, als sie das Wort »Versenken!« vernahm. Zwei Herzschläge später ließ ein markerschütterndes Krachen sie zusammenfahren. Lump jaulte auf. Ein zweites Krachen folgte unmittelbar, kurz darauf begann das Schiff zu schaukeln.
»Was war das, Baldo?«
»Die Schweine versenken Gottfrieds Kogge. Sie haben ihre Kanonen abgefeuert.«
Über ihnen öffnete sich die Lukenklappe, und Licht fiel in den Laderaum, dann wurden zwei nackte, behaarte Beine sichtbar, und eine raue Stimme erscholl.
»Rauf mit euch! Ihr sollt sehen, was mit eurem stolzen Hanseschiff geschieht!«
Cristin blinzelte ins Licht, erhob sich schwankend und trat an die Leiter. Ein narbengesichtiger Seeräuber mit einer Wollmütze auf dem kantigen Schädel starrte auf sie herunter. Widerwillig ergriff sie die schwielige Hand, die sich ihr entgegenstreckte und sie hochzog. Jetzt sah sie, dass fünf Seemänner überlebt hatten, darunter Kapitän Gottfried. Baldo und die anderen folgten ihr mit finsteren, verkniffenen Mienen und betraten nacheinander das Oberdeck, wo zwei Dutzend Vitalienbrüder sie erwarteten. Backbord, nicht weit von ihnen entfernt, dümpelte das zweite, etwas kleinere Piratenschiff auf dem Wasser. An der Reling standen weitere bewaffnete Männer und starrten zu ihr herüber.
Ein kräftiger Mann mit einem
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