Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
hellroten, sorgfältig gestutzten Bart und einem Filzhut auf dem Kopf schien der Anführer der Seeräuber zu sein.
»Willkommen an Bord meines Schiffes«, begrüßte er die Gefangenen spöttisch, während sein Blick auf Cristin ruhte. Dann wies er über das Wasser auf die Sturmvogel , die bereits zu zwei Dritteln in den Fluten versunken war. Rings um ihren Rumpf brodelte das Wasser, als würde es kochen, und das gurgelnde Geräusch vermischte sich mit dem Johlen der Piraten.
Cristin schluckte, während sie wie gebannt zu der sinkenden Kogge starrte. Nur ein Teil des Achterdecks und die Spitze des Mastes mit dem erschlafften Segel ragten noch aus dem Wasser. Es war ein Bild des Jammers, und sie drehte sich auf dem Absatz um. Aus den Augenwinkeln nahm sie Kapitän Gottfried wahr, der mit den Händen die Reling umklammerte. Seine Gesichtszüge wirkten wie versteinert.
»Verzeiht, dass ich mich Euch noch nicht vorgestellt habe«, vernahm Cristin hinter sich die Stimme des rotbärtigen Mannes und wandte sich um. Er deutete eine Verbeugung an und musterte sie unverhohlen von oben bis unten. »Mein Name ist Arnd von Krämer aus Wismar. Ich bin der Kapitän dieses Schiffes und hoffe, meine Männer haben Euch nicht zu hart angefasst, als sie Euch an Bord gebracht haben.«
Baldo knurrte, sein Hund ebenfalls, und Cristin warf ihm einen warnenden Blick zu. Er hatte die Fäuste geballt und presste die Kiefer zusammen, schwieg aber.
»Wollt Ihr mir nicht sagen, mit welch schöner Frau ich das Vergnügen habe?«
»Agnes Bremer«, antwortete Cristin und konnte nur mühsam ihre Wut unterdrücken.
»Und Ihr?« Er deutete auf Baldo.
»Mein Bruder«, sagte sie knapp. »Adam.«
Der Mann strich sich mit der Hand über den kurz geschnittenen Bart.
»So, Agnes und Adam Bremer – und was macht Ihr auf einem Handelsschiff?«
»Kapitän Gottfried war so freundlich, uns nach Lübeck mitzunehmen …«
»Daraus wird nichts werden«, unterbrach Krämer.
Cristin erschrak. »Was habt Ihr mit uns vor?«
»Keine Angst, Frau Bremer.« Seine Stimme klang amüsiert. »Wir laufen morgen in aller Frühe eine versteckte Bucht an der mecklenburgischen Küste an, dort lassen wir Euch von Bord. Wir sind schließlich keine Unmenschen, auch wenn wir von der Hanse gern so dargestellt werden und uns die Kaufleute in Hamburg, Lübeck und Sleswig die Pest an den Hals wünschen.« Er bleckte die Zähne. »Was wir wollten, haben wir bekommen – kostbare Tuche, Pelze und eine Kiste mit Bernstein.« Er lachte leise. »Frauen an Bord bringen nur Unglück, sagt man. Das Sprichwort scheint zu stimmen, nicht wahr, Kapitän?« Er warf Gottfried einen spöttischen Blick zu, dann sah er Cristin ins Gesicht. »Deshalb lassen wir Euch und Euren Bruder frei. Wir haben keine Verwendung für Euch. Wie Ihr allerdings nach Lübeck kommt, müsst Ihr selber sehen.«
»Das lasst nur unsere Sorge sein«, ließ sich Baldo vernehmen, und seine Stimme klang grimmig.
Cristin schüttelte unmerklich den Kopf.
Kapitän Gottfried löste sich von der Reling und machte ein paar Schritte auf den Anführer der Vitalienbrüder zu. »Was passiert mit meinen Männern und mir?«
Erst jetzt bemerkte Cristin eine blutende Wunde an seinem Oberarm, um die er notdürftig einen Verband geschlungen hatte.
Arnd von Krämer verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. »Mit Euch, Kapitän? Nun, ich will doch sehr hoffen, die Kaufleute Lübecks sind bereit, ein nettes Sümmchen Lösegeld für Euch zu bezahlen! Das wird ihnen ein tüchtiger Koggenkapitän wohl wert sein. Solange seid Ihr selbstverständlich meine Gäste.« Seine Lippen verzogen sich zu einem unverschämten Grinsen. »Schließlich habt Ihr nun kein Schiff mehr!«
Cristin sah, dass Gottfried sich nur mit Müh und Not beherrschen konnte, um Krämer nicht an die Kehle zu gehen. Dazu trug sicher auch ein halbes Dutzend mit Dolchen und Armbrüsten bewaffneter Männer bei, die um Gottfried und ihren Anführer herumstanden, bereit, den vor Wut rot angelaufenen Kapitän des geenterten Handelsschiffes zu ergreifen, sollte sich dieser auf Arnd von Krämer stürzen wollen.
»Kapitän!« Hinter ihnen in der Luke zum Laderaum tauchte plötzlich ein dicklicher Kerl mit flachsblondem Haar und geröteten Wangen auf. »Kommt schnell! Das … das müsst Ihr Euch ansehen!«, stieß er hervor und wies mit dem Daumen ins Innere.
»Was soll da sein, Hinnerk? Ist dir da unten eine Jungfrau begegnet, oder was?«, fragte der Kapitän. Seine
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