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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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reagierte, beugte sich Cristin zu ihm herunter und schüttelte ihn. Dreimal, viermal.
    »He, was soll das?« Der Seemann versuchte sich aufzurichten, fiel aber sogleich wieder zurück. Ein weiterer Tritt ließ ihn die Augen öffnen. Er setzte sich entrüstet auf und versuchte, nach ihr zu greifen, doch mit seinen unkontrollierten Bewegungen griff er ins Leere. Schon war Cristin beim nächsten angelangt, bückte sich und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    Der Mann riss die Augen auf und rülpste. »Bist du verrückt geworden, Weib?«
    Cristin griff in sein Wams und zog ihn in die Höhe. Die Angst verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Ihre Nasenspitze berührte fast die des Seemannes, dessen Atem faulig roch.
    »Die Vitalienbrüder sind da! Holt eure Waffen, sonst bringen sie uns alle um!« Sie ließ ihn los, der Mann fiel nach hinten und schlug mit dem Kopf auf die Planken.
    Er stöhnte auf. »Was sagst du da? Vitalienbrüder?«
    Immer mehr Seeleute erhoben sich und stolperten die Treppe zu den Mannschaftsräumen hinab, um kurz darauf mit Schwertern und Äxten zu erscheinen.
    Cristin kniete neben Baldo nieder, der sich stöhnend an den Kopf fasste, den Blick noch immer umnebelt.
    »Werde endlich wach, Liebling!«, schrie sie gegen den Wind an. »Was hat der verfluchte Mann euch nur gegeben?«
    Baldo antwortete nicht, und selbst als sie ihn wild zu schütteln begann, reagierte er nur träge mit einem Blinzeln und nuschelte Unverständliches. »Hoch jetzt mit dir, verflucht!« Endlich erhob er sich, wenn auch schwankend. »Du hattest recht, die Seeräuber wollen das Schiff überfallen«, stieß Cristin hastig hervor. »Der Schiffskoch steckt mit ihnen unter einer Decke.«
    »Die Ratte mache ich einen Kopf kürzer«, knurrte Baldo, nun erheblich wacher, und sah sich mit gebleckten Zähnen um, aber der Verräter war nirgends zu sehen.
    Kapitän Gottfried trat zu ihnen. »Wahrscheinlich hat der Schweinehund sich irgendwo versteckt und wartet auf seine Kameraden!« Seine Stimme bebte vor Wut. »Feuer eröffnen!«, erscholl sein Befehl über das Deck.
    Cristin lugte zu einer der beiden Kanonen hinüber, die Gottfrieds Männer auf die feindlichen Schiffe gerichtet hatten. Einer von ihnen entzündete gerade die Lunte und trat in Erwartung des kräftigen Rückstoßes zurück. Die kurze Zündschnur brannte ab, doch nichts geschah.
    »Feuer!«, schrie der Kapitän abermals. Die zweite Kanone versagte ebenso. »Beim Klabautermann, was geht hier vor sich?« Gottfrieds Züge nahmen einen verzweifelten Ausdruck an, seine Stimme klang hohl.
    »Der Koch – er muss das Pulver unbrauchbar gemacht haben«, stieß Baldo hervor. »Hinunter!« Unsanft zog er Cristin mit sich hinter die schützende Schiffswand.
    Nur wenige Augenblicke später ging ein Regen von fingerdicken Armbrustpfeilen aufs Deck nieder. Gellende Schmerzensschreie ertönten, gefolgt vom Geräusch der auf den Boden fallenden Körper. Das Stöhnen und Jammern der Sterbenden drang Cristin durch Mark und Bein. Während Baldo versuchte, sie mit seinem Körper zu schützen, schloss sie die Augen und erwartete das Unausweichliche. Ein ohrenbetäubendes Bersten erfüllte die Luft, dann wurde es still. Das Blut gefror ihr in den Adern. Mein Gott! Cristin vergrub die Finger in Baldos Wams und klammerte sich an ihn. Wildes Triumphgeschrei brach aus, und sie hielt sich die Ohren zu. Die Zeit schien stillzustehen. Es ist vorbei, durchfuhr es sie. Die Ostsee wird unser kaltes Grab sein, die Kogge unser Sarg. Cristin biss sich auf die Unterlippe, schmeckte Blut. Baldo presste sie an sich.
    Eine Fratze schob sich über die Reling, seltsam entstellt, und Cristin stieß einen gellenden Schrei aus. Der Mann starrte sie aus einem Auge an.
    »Was haben wir denn da?«
    Mit einer Hand griff er in ihr Haar und zog sie unerbittlich in die Höhe, wobei ihr Tränen in die Augen schossen. »Eine hübsche Metze an Bord eines Handelsschiffes – wer hätte das gedacht? Solch Beute macht man nicht jeden Tag!«, grinste der Mann und zog sie an sich.
    Baldo fuhr hoch und wollte ihr zu Hilfe eilen, als sie hinter ihm einen zweiten Piraten auftauchen sah. Als er Baldos gewahr wurde, hob er eine Streitaxt, die er in der rechten Hand hielt.
    Cristin riss die Augen auf. »Pass auf!«, schrie sie.
    Er wandte den Kopf, doch es war bereits zu spät, und der Seeräuber schlug ihm die Waffe mit voller Wucht über den Schädel. Baldos Blick wurde glasig, sein Gesicht erschlaffte, dann ging er in die Knie und sank

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