Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
auf eine Tür am Ende des kleinen Flurs. »Mein Mann und dieser«, sie stockte, »Kerl sind dort drin.«
Cristin und Büttenwart betraten die merklich abgekühlte Dornse, das Feuer in dem kleinen Kachelofen war nahezu heruntergebrannt.
Baldo erhob sich, griff sich mit gequältem Gesicht an die Schulter und musterte den Richteherrn, der zum Gruß den Kopf neigte und sich dann dem Salzhändler zuwandte.
»Was habt Ihr mir zu sagen, Lüttke?«, kam Büttenwart ohne Umschweife zur Sache.
Cristin hielt die Luft an. Eines der Mädchen tastete nach ihrer Hand, das andere drängte sich dicht an sie heran. Der Salzhändler saß mit zusammengebundenen Beinen in seinem Polsterstuhl, und sein Gesicht wirkte unnatürlich rot. Er ließ den Blick von Büttenwart zu Baldo und zurück zum obersten Richteherrn Lübecks wandern. Plötzlich trübte er sich.
Büttenwart beugte sich vor. »Was habt Ihr?«
Der Salzhändler zwinkerte und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. »Schmerzen …« Sein Gesicht verzog sich. »Furchtbare …« Er brach ab und starrte auf seinen rechten Arm, der kraftlos neben ihm herabhing. Sein Mund wirkte plötzlich merkwürdig schief.
»Was ist mit Euch?« Cristin fasste nach Lüttkes Arm.
Dieser kniff die Augen zusammen. »Isch … seh eusch …«, murmelte er mit verwaschener Stimme, »zweimal.« Dann fiel sein Kopf zur Seite.
Sie erschrak.
Baldo stieß einen Fluch aus.
»Was ist mit dem Kerl? Ist er tot?«
Büttenwart trat auf den regungslosen Salzhändler zu und ergriff sein Handgelenk.
»Nein, er lebt«, erklärte er. »Ich glaube, der Schlag hat ihn getroffen. Ein Bruder meiner Frau hat dasselbe erlitten. Lange Zeit war er gelähmt und konnte nicht mehr sprechen und essen, bis er schließlich das Zeitliche gesegnet hat.«
»Verdammt!« Baldo trat näher und versetzte dem Ohnmächtigen eine leichte Ohrfeige. »Könnt Ihr mich hören?«
Lüttkes Lider flatterten.
Cristin hockte sich neben ihn. »Ich bitte Euch, sprecht!« Ihre Stimme überschlug sich. »Wiederholt, was Ihr uns vorhin gestanden habt! Wer hat meinen Mann auf dem Gewissen?« Sie rüttelte ihn an den Schultern. »Erleichtert Euer Gewissen, bevor es zu spät ist.«
Lüttke öffnete die Augen, doch er schien durch sie hindurchzusehen. Von seinen Lippen kam nur ein leises Röcheln, in die schiefen Mundwinkel traten kleine Speichelblasen.
Der Richteherr schüttelte den Kopf, ging zur Tür und rief nach Lüttkes Frau.
»Ruft einen Medicus, vielleicht kann er Eurem Mann helfen«, bat er, und zu Cristin gewandt, sagte er: »Ihr habt es selbst gesehen und gehört. Der Mann kann nicht mehr sprechen.«
»Und nun?«, fragte Cristin entsetzt.
»Ich werde Euren Schwager morgen vorladen. Allerdings steht Eure Aussage gegen die seine.«
27
M er erdreistet sich, uns schon beim Morgenmahl zu stören?« Lynhard Bremer trat neben seinen Sohn Dietrich, der auf sein Geheiß hin die Haustür geöffnet hatte.
Auf der steinernen Türschwelle standen zwei Männer in einfachen Wämsern, an ihren Gürteln baumelten kurze, spitze Dolche.
»Seid Ihr Lynhard Bremer?«
Bremer verschränkte die Arme vor der Brust und maß die Männer stirnrunzelnd.
»Der bin ich. Was gibt es? Ihr kommt ungelegen.«
Einer von ihnen starrte ihn aus kleinen, trüben Augen an, während der andere die Hand auf den Griff seines Dolchs legte. »Richteherr Büttenwart schickt uns. Wir sollen Euch zu einer Vernehmung abholen.«
»Vernehmung?«, wiederholte Lynhard gedehnt. »Jetzt, am frühen Morgen? Das wird sich wohl nicht machen lassen. Kommt später wieder.«
Der Büttel schüttelte den Kopf. »Wir haben Befehl, Euch unverzüglich vor den Richteherrn zu führen.« Er zog ein Pergament aus der Tasche und überreichte es Lynhard.
Der Pelzhändler warf einen Blick auf die Zeilen und setzte eine betont gleichgültige Miene auf.
»Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was der Richteherr von mir will. Das Ganze muss ein Missverständnis sein.«
»Lynhard?« Mechthild war hinter ihn getreten. »Was wollen diese Männer von dir?«
Bremer drehte sich zu ihr um, strich ihr eine helle Haarsträhne aus dem Gesicht und gab seiner Stimme einen sorglosen Klang. »Ich weiß es nicht. Angeblich will man mich vernehmen.« Er griff nach seinem Mantel, der an einem Haken in dem kleinen Flur hing, setzte eine Pelzmütze auf und lächelte. »Es wird das Beste sein, wenn ich der Einladung dieser Herren erst einmal Folge leiste. Schließlich haben sie auch nur ihre
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