Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
klemmte sie zwischen Armstumpf und Brust und zog den Korken heraus. Vielleicht half das hier. Er goss sich ein Gläschen von dem dänischen, mit Kümmel versetzten Getreideschnaps ein, den es neuerdings in Lübeck zu kaufen gab. Wohlige Wärme erfüllte sein Inneres, und mit einem Stöhnen ließ er sich in die Kissen zurückfallen. Der Schmerz in seinen Gedärmen verebbte allmählich, und Büttenwart atmete prustend aus. Der Schnaps im Haus erspart den Bader, dachte er.
Gut, dass wieder Frieden herrschte. Der Hansehandel mit Königin Margaretes im letzten Jahr gegründetem Großreich im Norden blühte, als hätte es nie einen langen, zermürbenden Krieg gegeben, in dem er – ein Jungspund von gerade mal zwanzig Lenzen – für die Hanse gekämpft und noch kurz vor Kriegsende seinen linken Unterarm verloren hatte. Er griff erneut nach dem Schnaps und trank diesmal direkt aus der Flasche. Wenn es nur die verdammten Vitalienbrüder nicht gäbe, die den Ostseehandel behinderten.
Das Knarzen der Kammertür ließ ihn aufsehen. Jette, seine Frau, stand im Türstock, und ihre Augen hafteten missbilligend auf der Flasche in seiner Hand.
»Es will dich jemand sprechen, Thaddäus.«
Sein Blick wanderte zu dem Stundenglas auf dem Schränkchen gegenüber, durch das feiner Sand rieselte. »Um diese Zeit? Wer ist es denn?«
»Drei Frauen. Ich habe ihnen gesagt, dass dir nicht wohl ist, aber sie meinten, es sei dringend.«
»So, dringend.« Büttenwart fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn. »Sag ihnen, sie sollen morgen wiederkommen. Für heute will ich meine Ruhe.«
»Bitte, Herr Richteherr!« Eine schlanke Gestalt mit einer Kapuze auf dem Kopf schob seine Frau zur Seite und drängte sich in den Raum. »Ich bitte Euch, hört mich an! Mich und diese beiden Frauen hier.«
»Was auch immer Ihr von mir wollt, hat das nicht Zeit bis morgen? Ihr seht doch, ich bin krank.« Er musterte die Frau, die sich ihm mit gerecktem Kinn näherte. »Kennen wir uns nicht? Sagt mir Euren Namen.«
Sie schwieg einen Moment und starrte auf seinen Armstumpf, der auf der Bettdecke lag. »Ja, wir kennen uns, Richteherr.« Schatten lagen über dem Frauengesicht, aber ihre Augen glänzten beinahe unnatürlich. »Ich bin Cristin Bremer.«
Büttenwart beugte sich vor und kniff die Augen zusammen, um sie im Licht der Talglampe zu betrachten.
»Cristin Bremer? Ihr seid es? Die Mörderin, die ich zum Tode verurteilt habe und die geflohen ist?«
»Ja.«
Cristin Bremer, die Gattin des allseits geachteten Kaufmannes Lukas Bremer. Die beste Goldspinnerin weit und breit war sie gewesen. Sie, die Frau mit dem Antlitz eines Engels und dem Herz einer Mörderin.
»Nun kommt Ihr also zurück nach Lübeck. Ihr wollt Euch endlich stellen, nehme ich an. Plagt Euch die Schuld nach all der langen Zeit? Dann werde ich meinen Sohn nach den Bütteln schicken lassen.«
Sie hob abwehrend die Hände. »Ich bitte Euch, wartet und hört erst mich und diese beiden Frauen an, die ich mitgebracht habe.«
Hinter ihr erblickte er nun zwei junge Frauen, die sich an den Händen hielten und einen verschüchterten Eindruck machten. »Wer ist das?«
»Zwei Polinnen, die Euch etwas zu erzählen haben.«
»Also gut – ich werde mir anhören, was Ihr mir zu sagen habt.« Er wies auf einen Stuhl neben dem großen Bett und verzog das Gesicht.
Cristin trat näher. »Was ist mit Euch, Richteherr?«
»Koliken, Blähungen, was weiß ich«, brummte er. »Warum kommt Ihr, eine Mörderin, in mein Haus?«
»Was glaubt Ihr, warum ich zu Euch komme, Richteherr?« Sie beugte sich vor. »Ich bin unschuldig, und es gibt jemanden, der das beweisen kann.«
Büttenwart unterdrückte einen rüden Kommentar, denn die Dreistigkeit der Frau war wirklich kaum zu überbieten. Kam einfach so in sein Heim gestürmt und erklärte, sie sei unschuldig und er solle sie anhören. Nur der Schmerz stimmte ihn milde. Er schob die Hand unter die Bettdecke und drückte sie auf den Leib. »Wenn Ihr Euren Mann nicht getötet habt, warum habt Ihr dann das Gottesurteil nicht bestanden? Erinnert Euch, aus dem Mund Eures toten Gemahls floss Blut! Der Geist Eures Mannes hat Euch angeklagt, seine Mörderin zu sein! Das könnt Ihr nicht leugnen.«
Verloren wirkte sie, wie sie so vor seinem Bett stand, das junge Antlitz von Kummer gezeichnet. »Ich weiß nicht, wie das geschehen ist, aber ich schwöre Euch, ich habe meinen Mann nicht getötet.«
»Das sagt Ihr.« Büttenwart griff nach der Schnapsflasche und
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