Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
zusammenziehen.
»Schließlich habe ich Elisabeth ins St.-Johannis-Kloster gebracht, um sie von den Schwestern aufziehen zu lassen«, fuhr Mechthild stockend fort. »Ich hatte Angst, Lynhard könne auch sie schlagen. Sie war doch noch so klein.«
»Schlagen?« Cristin sprang auf. »Lynhard hat euch geschlagen?«
Die Schwägerin erhob sich, trat ans Fenster und sah auf die Gasse hinaus. Als sie sich umdrehte, waren in ihren Augen Trauer und die Spuren so manch durchweinter Nacht zu erkennen. »Ja, manchmal. Aber nur, wenn er dem Würzbier zugesprochen hatte. Das letzte Jahr mit Lynhard war die Hölle!«
»Sprich weiter.«
Die Lippen der schmächtigen Frau verengten sich zu einer Linie. »Er hat sich verändert, hat das Geld mit vollen Händen ausgegeben. Wenn ich ihn zur Rede stellen wollte, gab es Streit. So manche Nacht ist er nicht nach Hause gekommen.« Sie lachte, doch es klang unecht. »Weiber, die jünger und hübscher sind als ich. Ich glaube mittlerweile, Lynhard hat mich nur geheiratet, weil ich eine hohe Mitgift mit in die Ehe brachte.«
Cristin hob die Hände.
»Das wundert mich nicht, Mechthild. Aber dies ist eure Angelegenheit und geht mich nichts an. Wo ist mein Kind jetzt?«
»Ich nehme an, Elisabeth ist immer noch im Kloster. Wenn sie nicht von einem unfruchtbaren Paar an Kindes statt angenommen worden ist.«
Cristin erstarrte. An Kindes statt. Sie holte tief Luft. »Ich bitte dich ungern, aber du musst mit mir zu dem Kloster gehen und bestätigen, dass ich Elisabeths Mutter bin.« Aus einer Nebenkammer drangen die Stimmen zweier Kinder zu ihr herüber.
»Natürlich. Dietrich kann solange auf die Kleinen aufpassen.« Mechthild machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr über den Arm. »Glaubst du, du kannst mir eines Tages verzeihen?«
Cristin entzog sich ihr. »Wie kannst du es auch nur wagen …« Sie brach ab, nach Worten suchend. »Du hast mit deinem Verrat Elisabeths und mein Leben zerstört! Und dann meinst du, mit einer Entschuldigung wäre der Gerechtigkeit Genüge getan? Nein, Mechthild.« Ihre Schwägerin ließ die Arme sinken.
»Ich verstehe. Möge der Tag kommen, an dem ich das Unrecht an euch wiedergutmachen kann.«
Cristin schwieg und wandte sich zur Tür, doch dann drehte sie sich noch einmal herum. »Warum? Warum hast du mich der Hexerei bezichtigt?«
Mechthild schloss die Lider und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Als sie aufschaute, war es tränennass. »Lynhard … er hat mir erzählt, du hättest den Medicus fortgeschickt.« Ihr Blick schweifte an Cristin vorbei. »Er hat dich gesehen, weißt du? Er hat gesehen, wie du …«
Cristin beugte sich über sie und packte sie an den Schultern. »Wie ich was?«
»Wie du die Hände über Lukas gehalten hast. Als er dann starb, dachte ich …«
»Dass ich ihn getötet habe?« Cristins Stimme überschlug sich.
Mechthild zuckte zusammen. »Nein, das nicht. Nicht gleich. Aber ich dachte, deine Hände seien … Teufelswerk.«
Cristin ließ sie ruckartig los. »Der gute Lynhard hatte es gewiss eilig, dich in deinem Glauben zu bestärken, nicht wahr?«
Betretenes Schweigen setzte ein. Der Wind versetzte die Bäume vor dem Fenster in einen Tanz. »Die Liebe zu Lynhard muss mich blind gemacht haben. Bitte, Cristin«, flüsterte Mechthild schließlich und streckte ihr die Hände entgegen, »es tut mir so leid.« Ihre Finger waren ebenso kalt wie Cristins.
»Kannst du dir vorstellen, dass der Mann … der Mann, der seinen Kindern jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat, unseren Ältesten auf die Lateinschule beim Jakobikirchhof geschickt und stets gut für uns gesorgt hat, plötzlich zum Verbrecher, ja vielleicht sogar zum Mörder wird?« Mechthilds Gesicht zuckte.
Cristin erinnerte sich an Lynhards Fürsorge zum Ende ihrer Schwangerschaft, an die Art, wie er seine Kinder im Arm gehalten und seine Frau dabei angesehen hatte. Aber auch seine anzüglichen Blicke und die ihm eigene Eitelkeit würde sie nicht vergessen. »Nein. Noch vor einem Jahr hätte ich ihm so etwas nicht zugetraut. Heute dagegen …«
»Sollte er wirklich Lukas’ Mörder und ein Frauenhändler sein, wünsche ich mir, dass er seine gerechte Strafe erhält«, stieß Mechthild hervor und wischte sich über die Wangen. »Lass uns gehen.«
»Elisabeth ist Euer Kind?« Die alte Ordensschwester kniff die Augen zusammen und musterte Cristin argwöhnisch.
»Ja, Schwester Maria. Sie ist meine Tochter.«
Der Blick der Äbtissin richtete sich auf
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