Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
in die Höhe. »Bringt mich zurück in die Fronerei, ich höre mir diesen Unsinn nicht länger an!«
»Was Ihr Euch anhört, bestimmt immer noch dieses Gericht, Bremer!« Büttenwart wandte sich zu einem der zwei Büttel, die rechts und links von der Saaltür postiert waren. »Holt die Pöhlmann, aber hurtig!«
30
D ie große Flügeltür öffnete sich, und Mirke betrat an der Seite des Büttels den Saal. Scheu sah sich das junge Mädchen um, während der Gerichtsdiener es an den Schöffen und Zuschauern vorbei vor den Richtertisch führte. Mirkes Augen waren gerötet, als hätte sie geweint. Als sie Lynhard erblickte, ging ein Beben durch ihren Körper.
Vogt Büttenwart nickte ihr zu und drehte sich zu Mangel. »Befragt sie, Fiskal.«
Der musterte die ehemalige Lohnarbeiterin der Bremers ernst.
»Mirke Pöhlmann«, begann er. »Hast du mit Lynhard Bremer gebuhlt?«
Cristin horchte auf. Nein, sie wollte wahrlich nicht in Mirkes Haut stecken. Baldo umschloss ihre Hand mit seiner.
»Wenn du schweigst, dann muss ich das als ein Ja deuten«, gab der Ankläger zu bedenken und wies auf Lynhard. »Ich frage dich nochmals: Hat dieser Mann dort Ehebruch mit dir getrieben? Antworte!«
Mirke nickte zaghaft.
»Nun, dafür wirst du mit Ruten gezüchtigt werden und am Pranger stehen.«
Das Mädchen schluchzte laut auf und wandte sich an den Richteherrn. »Er hat mir nachgestellt und mich verführt, Herr! Ich bitte Euch um Gnade …«
»Darüber wird an einem anderen Tag entschieden werden«, unterbrach Vogt Büttenwart. »Glaube mir, Mädchen, du wirst noch dankbar sein, mit zwanzig oder dreißig Rutenstreichen davonzukommen. Heute geht es um etwas viel Schlimmeres – den Mord an Lukas Bremer, bei dem du dich als Lohnarbeiterin verdingt hast. Hast du uns etwas dazu zu sagen?«
Mirkes schlanker Körper schien förmlich zusammenzusinken. Wieder war es so still im Saal, dass nur die Atemzüge der Anwesenden zu hören waren. Das Mädchen schwieg einige Augenblicke lang.
Büttenwart nickte ihr aufmunternd zu.
»Es war an dem Abend, als der Herr ein Fest gegeben hatte«, begann Mirke zögernd. »Alle Gäste waren bereits gegangen, da kehrte Lynhard noch einmal zurück.« Klanglos war ihre Stimme. »Er hatte einen kleinen Krug Wein dabei. Es sei ein besonders guter Tropfen, sagte er, und ich solle ihn meinem Herrn bringen – als Dank für das gelungene Fest.« Sie verstummte.
Der Richteherr beugte sich vor. »Was geschah dann?«
»Ich fragte: ›Wollt Ihr nicht hereinkommen?‹, aber er antwortete, er hätte keine Zeit. Ich sollte seinem Bruder nur gleich einen Becher eingießen und bringen.« Sie straffte den Rücken und trat dicht an den Richtertisch. »Ich schwöre bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen – ich weiß nicht, was geschehen ist. Aber am Morgen nach dem Fest wurde mein Herr krank und starb wenige Tage später. Das müsst Ihr mir glauben!«
»Gift möglicherweise?« Büttenwarts buschige Augenbrauen schossen in die Höhe. »Willst du damit andeuten, dass der Angeklagte seinen Bruder vergiftet haben könnte? Mit deiner Hilfe?«
Mirke heulte jetzt wie ein Schlosshund. »Nein, um Himmels willen! Ich weiß es doch nicht, Ihr hohen Herren! Ich habe ihm nur den Wein gebracht, wie mir aufgetragen wurde, nichts weiter!«
Im Saal wurde es laut. »Gebt Ruhe!«, rief Büttenwart und sah zur Anklagebank. »Was sagt Ihr dazu, Bremer?«
»Das dumme Weibsstück lügt«, stieß dieser hervor. »Nennt mir außerdem nur einen Grund, warum ich meinen Bruder hätte umbringen sollen!«
Der Richteherr schwieg, und einige Herzschläge lang sprach niemand ein Wort. Cristin senkte den Kopf und starrte auf ihre Schuhe.
Da unterbrach Mirkes Stimme die Stille. »Du … du standest doch bei allen möglichen Leuten in der Kreide.«
Cristin sah auf.
Mirke hatte sich zu Lynhard gedreht. »Über hundert Gulden wollten sie von dir haben, hast du mir erzählt. Und dein Bruder hat dir nichts gegeben, weil du sowieso immer alles verspielt hast!«
»Ist das wahr, Frau Bremer? Hat Euer Mann seinem Bruder kein Geld gegeben?«
»Ich vermute es«, antwortete Cristin. »Lukas hat nie mit mir darüber gesprochen. Er wollte mich aus dem Geschäftlichen heraushalten, aber ich hörte des Öfteren, wie Lynhard und Lukas sich wegen des Geldes stritten.«
»Geldgier ist die Wurzel allen Übels«, zitierte der Fiskal die Heilige Schrift, »und wäre nicht zum ersten Mal der Grund, einen anderen zu entleiben.« Er trat an die
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