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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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ohne ein Wort ebenfalls zu graben. Die Erde war schwer vom Regen der letzten Tage.
    Schneller, verdammt! Es dauerte viel zu lange. Baldos Herz zog sich krampfhaft zusammen, tiefer und tiefer gruben seine Hände, während Erdklumpen durch die Luft flogen, und Gesicht, Haare und Kleidung besprenkelten. Er keuchte, das Blut pochte in seinen Schläfen. Schweiß rann ihm in die Augen, und er wischte ihn mit dem Handrücken fort.
    »Schneller, verflixt noch mal!«, schrie er. Nur noch dies hier zählt, erkannte er plötzlich. Sein Leben war bisher von Gehorsam gegenüber seinem Vater, von Abscheu und Scham geprägt gewesen. Nun hatte er die Gelegenheit, das erste Mal etwas wirklich Bedeutsames zu tun. Etwas, von dem er überzeugt war, ohne es erklären zu …
    Oh nein – er hatte das Schilfrohr herausgezogen! Einen Wimpernschlag lang hatte er nicht aufgepasst. »Halte durch! Du darfst nicht sterben!«, flüsterte er und verdoppelte seine Anstrengungen. Er hörte Hans neben sich aufstöhnen. Da! Seine Fingerspitzen ertasteten etwas Festes. Das musste ihr Kopf sein. Wenn es nur nicht bereits zu spät war. Mit den Händen fegte er Erde zur Seite, schon war ihre Stirn zu sehen. Die Kopfhaut schimmerte rosig. »Du schaffst es«, murmelte er, ohne selbst zu wissen, wen er damit meinte – sich selbst oder die Verurteilte, die er versuchte auszugraben. Wie ein Wahnsinniger schob er die Erde beiseite und ignorierte die Stiche in seiner Brust. Sie muss atmen können. Ihre Augen waren geschlossen, die Haut wächsern.
    »Die ist tot«, rief Hans mit einer Stimme, der man die mühsam unterdrückte Hysterie anhörte.
    Baldo antwortete nicht. Außer dem Anblick ihrer geschlossenen Lider nahm er nichts mehr wahr. Vorsichtig befreite er ihre Nase und den Mund. Gemeinsam kämpften sie sich bis zu ihren Armen weiter, wobei sie schnaubten und röchelten vor Anstrengung. Die einsetzende Dämmerung erschwerte ihnen die Sicht, doch endlich war ihr Körper frei. Sie packten die Frau, zogen sie mit einer letzten großen Kraftanstrengung heraus und legten sie auf den Boden.
    Baldo beugte sich über sie und legte seine Hand an die Stelle, wo ihre Halsschlagader saß. Nichts. »Verflixt noch mal!« Roh hob er ihren Oberkörper an und begann sie zu schütteln. Ihr Körper war wie der einer Puppe. Er betrachtete ihr stilles Gesicht. Komm schon, Mädchen. Du darfst nicht sterben, flehte er insgeheim, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sanft bettete er ihren Kopf auf seinen Schoß.
    »Gib es auf«, hörte er seinen Freund murmeln. »Die ist hin.«
    Baldos Sicht verschwamm. Er gab der Frau eine Ohrfeige. »Wach auf, verdammt noch mal. Wach endlich auf!« Wieder schlug er ihr ins Gesicht. »Du sollst aufwach …« Da! Hatte er es sich eingebildet, oder flackerten ihre Lider? Er holte tief Luft und schaute hinauf in den Himmel, an dem die ersten Sterne zu erkennen waren. Das Bild der jungen Frau, wie sie gefesselt vor ihrem Richter stand und ihr Urteil erwartete, drängte sich wieder in sein Bewusstsein, und er kramte in seinen Erinnerungen. Wie hieß sie noch gleich? Ihre Lippen waren blau verfärbt. »Cristin«, brach es aus ihm heraus. »Du musst leben. Wach auf.« Er beobachtete, wie sich ihre Brust kaum sichtbar hob und wieder senkte. Himmel, sie lebt noch!
    »Baldo, sieh doch«, stammelte Hans.
    Er war unfähig zu antworten und nickte nur. Mit seiner rauen Hand strich er ihr zart über die Wange, die inzwischen etwas von ihrer Blässe verloren hatte, und wischte ein paar Erdkrümel von ihren Lippen. »Öffne die Augen. Alles ist gut.«
    Langsam kehrte die Farbe in das Antlitz der jungen Frau zurück. Was tat er hier nur? Befreite eine Frau, die er nicht einmal kannte, aus ihrem sicheren Grab. Du bist von allen guten Geistern verlassen, rügte er sich. Kannst selbst kaum auf dich aufpassen und halst dir bereits den nächsten Ärger auf. Warum nur empfand er in diesem Moment keine Angst? Nicht einmal der Gedanke an seinen Vater, der ihn sicher schon suchte, schreckte ihn. »Cristin«, flüsterte er, als er sah, wie ihre Lippen sich bewegten.
    Sie hustete und öffnete die Lider, woraufhin er sich noch tiefer zu ihr hinunterbeugte. Ihr Blick war verschleiert, und er fragte sich mit angehaltenem Atem, was sie wohl sehen mochte.
    »Du bist in Sicherheit«, sprach er beruhigend auf sie ein.
    Ihre Augen wurden klar, und Entsetzen breitete sich auf ihrer Miene aus.
    »Komm jetzt. Wir müssen hier weg, verstehst du?«
    Die Frau nickte schwach.
    Baldo blickte

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