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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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vertrautes Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Hans Mumme, sein Freund, der Einzige, den es nicht störte, dass er der Sohn und Gehilfe des Henkers war. Hans musste ihm helfen. Mit seinen langen Beinen kam Baldo schnell voran und wich unterwegs einigen lärmenden Seeleuten aus, die gerade eine Schänke verließen. Ein Mann fluchte, als Baldo in vollem Lauf seinen Einkaufskorb umwarf, doch er rannte weiter, bis er die Ecke der Engelschen Grove erreicht hatte, in der die Familie Mumme wohnte. Schwer atmend blieb er stehen und lehnte sich gegen die Mauer einer Bäckerei. Er war schweißgebadet. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen.
    »Was machst du denn hier?«, hörte er die Stimme eines jungen Mädchens in seinem Rücken.
    Er fuhr herum und sah sich Hans’ Schwester gegenüber. Wie hieß sie noch gleich? Er hatte es vergessen. »Hol Hans. Schnell!«
    »Wie? Wieso? Was ist …«
    Baldo unterbrach sie mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Hol ihn her und zwar sofort!«
    Das blonde Mädchen zuckte unter seinem rüden Tonfall zusammen, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im unweit gelegenen Elternhaus.
    Er lief unterdessen auf und ab. Meine Güte, warum dauerte das nur so lange?
    Endlich kam der ebenfalls blondhaarige Freund ihm entgegengelaufen. »Gott zum Gruße, Baldo. Was ist denn los?«
    »Komm mit!« Ohne ein Wort der Erklärung zerrte er Hans hinter sich her, bis dieser nach kurzem Widerstand in seinen Laufschritt einfiel.
    »Wo wollen wir denn hin?«, fragte Hans ein wenig atemlos, als sie das Ende der Straße erreicht hatten und in Richtung des Stadttores steuerten.
    »Halt die Klappe! Ich erzähle es dir später.« Als der Freund stehen blieb und sich die vom Laufen schmerzenden Seiten hielt, gab Baldo ihm einen Schubs. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Es geht um Leben oder Tod!«
    Mit einem Seitenblick bemerkte er, wie Hans bereits den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, doch er brachte den Freund mit seiner finsteren Miene zum Schweigen. »Schneller, Hans. Los!«
    Seufzend ergab sich der Junge in sein Schicksal und folgte Baldo, so gut er es mit seinen kurzen Beinen vermochte, bis der Köpfelberg in sein Sichtfeld kam.
    Das Gewissen begann an Baldo zu nagen, als er merkte, wie Hans erbleichte, und er ergriff dessen Arm. »Hier entlang.«
     
    Cristins Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Sie bekam zu wenig Luft, die Erde über ihrem Brustkorb wurde immer schwerer. Bevor die Männer gegangen waren, hatte einer von ihnen den Boden noch festgetreten. Schreien hätte sie wollen, aber sie beherrschte sich mühsam, um nicht wieder Erde in den Mund zu bekommen.
    Mühsam legte sie den Kopf in den Nacken. Mit einer Hand hielt sie weiterhin das Rohr umklammert, doch selbst das kostete sie Kraft. Längst hatte die Kälte nach ihr gegriffen, entzog ihrem gemarterten Körper jede Wärme, bis alles an ihr gefühllos wurde. Angestrengt sog sie die Luft tief in ihre Lungen hinein. An ihrem rechten Bein spürte sie ein Tier entlangkriechen, und Cristin verzog angewidert das Gesicht. Irgendwann war ihr aber auch dies gleichgültig. Mit geschlossenen Augen lag sie in der Grube und ließ die Bilder ihres Lebens an sich vorüberziehen. Ihr unsichtbarer Freund, wie er eng neben ihr saß. Seine Stimme, die ihrer so ähnlich war, nur ein wenig dunkler, und jeden Kummer in ihr verstummen ließ. Lukas. Sein Lächeln und die Wärme, die er ihr schenkte. Das Gefühl, wenn er sie in die Arme zog und sie liebte. Die Gesichter ihrer Lohnarbeiter und die vertrauten Geräusche in der Werkstatt. Der erste zaghafte Schrei ihres Kindes, damals, in jener kalten Winternacht. Elisabeths süßes Gewicht, das leise Schmatzen an ihrer Brust. Plötzlich kam Ruhe über sie und löschte alle anderen Empfindungen in ihr aus. Es war vorbei.

24
     
    B aldo warf sich auf die Knie und begann mit bloßen Händen in der Erde zu graben. »Los«, presste er hervor und stieß seinen Freund in die Seite, der ihn verständnislos ansah. »Hilf mir, Hans! Sie ist unschuldig.«
    Hans schüttelte den Kopf und machte instinktiv das Zeichen gegen den bösen Blick. »Nein, ich … ich kann nicht«, er wich zurück. »Die Frau ist eine Hexe! Sie hat ihren Mann auf dem Gewissen, heißt es.«
    »Dummes Zeug!«
    »Sie hat die Bahrprobe nicht bestanden, sagt mein Vater!«
    »Und wenn schon!« Baldo sprang auf und hielt Hans am Kragen fest. »In einer Stunde ist es stockdunkel. Verdammt noch mal, hilf mir!«
    Schließlich hockte Hans sich neben ihn und begann

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