Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
ergriff ihren Arm.
Cristin folgte ihm auf dem schmalen, mit Gestrüpp und kleinen Steinen übersäten Weg in den stockfinsteren Wald. Die Bäume schlossen sich über ihr, nur hier und da drangen ein paar Mondlichtstrahlen hindurch und erhellten ein kurzes Stück des Pfades. Trotzdem wäre sie mehrmals fast über Wurzeln gestolpert, die aus dem Boden ragten.
Der Wald schien jedes ihrer Geräusche zu verschlucken. Irgendwann knackte und raschelte es im Unterholz, sie fuhr zusammen, als ein Kleintier direkt vor ihren Füßen vorbeihuschte. Ihre Beine wurden immer schwerer, als wollte Mutter Erde selbst sie festhalten. Schließlich umklammerte sie den Stamm einer Eiche und sank zu Boden. Schwer atmend blieb sie sitzen und bettete den Kopf gegen ihre angezogenen Knie.
»Komm hoch, wir müssen weiter«, hörte Cristin die ungeduldige Stimme ihres Retters.
Eine weiche Schnauze stupste sie an, doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
Wortlos streckte er ihr einen Wassersack entgegen. Mit zitternden Händen griff sie danach und nahm einen gierigen Schluck.
»Nicht so viel«, mahnte Baldo und nahm ihr den Sack wieder ab. »Wir wissen nicht, wann wir ihn auffüllen können.«
Sie nickte.
»Nun komm schon. Oder willst du, dass man uns hier findet?«
»Ich … kann nicht mehr.« Sie sah flehend zu ihm hoch.
Im Dunkeln konnte sie erkennen, wie er den Mund öffnete, um etwas zu erwidern. Cristin rechnete damit, von ihm am Arm ergriffen und hochgezogen zu werden, stattdessen hockte er sich neben sie und sah an ihr vorbei. Zwischen ihnen entstand Stille.
»Hör zu«, brach er nach einer Weile das Schweigen. »Wir müssen raus aus diesem verdammten Wald. Sobald es hell wird, werden Arbeiter kommen, um hier Bäume zu fällen.«
»Wie lange noch?«
»Weiß nicht, schätze vor Sonnenaufgang. Uns bleiben nur ein paar Stunden. Ich kenne eine Stelle, wo wir uns tagsüber verstecken können.«
Als sie die Lichtung mit der alten, verlassenen Köhlerhütte erreichten, von der Hans ihm berichtet hatte, war Cristin in seinen Armen eingeschlafen. Der Hund trottete mit hängender Zunge hinter ihm her und rollte sich sogleich in einer Ecke zusammen. Der Gestank war bestialisch, gewiss gab es hier Ratten und Mäuse, aber fürs Erste waren sie sicher. Baldo legte sein Wams auf den Boden und bettete Cristins Kopf darauf. Es zog erbärmlich durch die kleinen Luken, die als Fenster dienten, doch wenigstens war die Tür noch zu schließen gewesen. Aus dem Bündel, das Hans ihm mitgegeben hatte, zog er eine alte Decke hervor und deckte Cristin zu. Erschöpft legte er sich neben sie, nahm einen Umhang und legte ihn über sich. Kurz darauf war auch er eingeschlafen.
26
D ie lautstarken Rufe der Werftarbeiter auf der anderen Seite der Stadtmauer ließen Emmerik Schimpf erwachen. Einen Augenblick lang lauschte er auf das Sägen und Hämmern, das vom Hafen über die Trave zu ihm herüberdrang. Dann öffnete er die Augen und wandte den Kopf zur gegenüberliegenden Wand, wo der Junge auf einer mit Stroh gefüllten Matratze schlief. Schlafen sollte. Denn die schmale Bettstatt war leer. Baldo war also nicht nach Hause gekommen. Hatte er etwa die ganze Nacht bei dieser Hübschlerin verbracht, zu der er nach der Hinrichtung noch hatte gehen wollen? Langsam richtete er sich auf, streckte sich. Er musste zum Markt, etwas zu essen besorgen, und auf dem Weg dorthin konnte er einen Abstecher zur Beckergrove machen. Auf der breiten Straße, die nach dem Hafen ausgebaut war, roch es stets himmlisch nach Hopfen, denn dort waren die Brauereien der Stadt zu finden, die mit Wasser aus der Wakenitz versorgt wurden. Was Emmerik aber weitaus mehr verlockte, waren die Hübschlerinnen, die auf den Hinterhöfen in zahlreichen Holzhütten ihrem Geschäft nachgingen. Ob Baldo noch bei dieser Rothaarigen war? Wie hieß sie noch, Ida? Emmeriks Mund verzog sich zu einem Grinsen. Sollte nicht schwer sein, sie zu finden. Der Bursche wird sich schön erschrecken, wenn sein Vater plötzlich in der Tür steht, dachte er.
Doch Baldo war nicht bei dem Mädchen, und auch am vergangenen Abend war er wohl nicht bei ihr gewesen.
»Tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann!« Ida hob bedauernd die Schultern. Ein Blick aus katzengrünen Augen glitt an Emmeriks breitem Brustkorb herab und blieb zwischen seinen Schenkeln ruhen. Mit einer schnellen Bewegung zog sie ihr dünnes Kleid zur Seite und präsentierte Emmerik eine ihre vollen Brüste. »Für ein paar Witten zeige ich dir
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