Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Schietwetter!«
Kurz bevor sie die Stadtmauer von Hamburg erreichten, hatte es zu regnen begonnen, und Ludewig Stienberg sparte nicht mit derben Flüchen, während er den Eselkarren über eine gepflasterte Straße lenkte. Cristin, die neben dem Bader auf dem schmalen Kutschbock saß, zog das Tuch, das ihren Kopf bedeckte, tiefer ins Gesicht, um sich vor den schweren Regentropfen zu schützen – ein hoffnungsloses Unterfangen, denn längst war sie bis auf die Haut durchnässt. Sie wandte sich nach Baldo um, der die Augen geschlossen hatte.
Stienberg lenkte den Karren an einer Kirche vorbei, über der in luftiger Höhe eine Schar Möwen kreiste. Auf den schmalen Holzgerüsten, die das aus roten Backsteinen erbaute Gotteshaus umgaben, balancierten Bauleute.
»St. Jakobi«, brummte Ludewig. »Soll noch größer werden. Dafür ist immer Geld da. Als ob wir nicht schon genug Kirchen hätten. Dabei verdreckt die Stadt immer mehr. Sauberes Wasser gibt’s auch nicht, nur für die, die es sich leisten können.« Er wies mit dem Kopf auf einen schmalen Wassergraben neben der Straße, in dem stinkender und undefinierbarer Unrat trieb. »Viele Leute trinken sogar die Brühe aus den Fleeten! Dann wundern sie sich, wenn sie krank werden.«
Schlagartig hörte der Regen auf, und die Sonne eroberte sich einen Platz inmitten der Wolken zurück.
»So ist das in Hamburg«, kommentierte der Bader, während sie an einigen mehrstöckigen Backsteinhäusern vorüberrollten. »Mal gießt es wie aus Kübeln, im nächsten Moment scheint wieder die Sonne.« Stienberg bog in eine Straße ein, auf der der Regen knöcheltiefe Pfützen hinterlassen hatte. »Wir sind gleich da.«
Cristin nickte. »Habt Ihr eigentlich eine Familie, Ludewig?«, fragte sie unverblümt und musste im nächsten Augenblick feststellen, wie sich Stienbergs Züge verhärteten.
»Meine Frau Marie und unser Sohn Friedhelm sind vor drei Jahren an der Pestilenz gestorben.«
Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Wieso nur hatte sie eine derart unbedachte Frage gestellt? In Lübeck war erzählt worden, dass die Seuche in Hamburg zahlreiche Todesopfer gefordert hatte.
Vor einem zweistöckigen Haus auf der gegenüberliegenden Seite brachte Stienberg die Esel zum Stehen. Er sprang vom Kutschbock und trat neben den Karren. »Hier ist mein Badehaus«, erklärte er.
Der Bader band die Tiere an einem Pfosten vor dem Haus an und öffnete die schwere Eingangstür. Dann kletterten sie beide auf den Karren, halfen dem stöhnenden Verletzten hinunter und führten ihn ins Haus.
Ludewig stieß eine weitere Tür auf. »Hier rein und auf das Bett mit ihm.« Baldo setzte sich auf die Kante der Liegestatt, Stienberg packte ihn bei den Füßen und legte ihn auf das schmale Bett.
Cristin sah sich um. Dies war offensichtlich das Behandlungszimmer – überall befanden sich Töpfe mit Salben und Arzneien, Schwämme und Schalen, Messer, Scheren, Zangen und anderes Gerät zur Behandlung von Krankheiten. Einiges davon hatte sie bereits kennengelernt. Ihr Gemahl war einmal wegen eines faulen Zahns bei einem Bader gewesen, und Cristin hatte ihn begleitet; ihr wurde heiß und kalt zugleich. Sie könnte viel von dem Bader lernen, würde Einblicke in die geheimnisvolle Welt der Heilkunde bekommen.
»Die Badestube ist leer.« Ludewigs Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Du könntest dich waschen, Agnes.« Er nickte ihr freundlich zu. »In dem Raum gegenüber steht ein großer Zuber. Ich war über eine Woche nicht hier, aber ich kann frisches Wasser einfüllen. Wenn ich den Ofen anheize und einen Kessel kochendes Wasser dazukippe, dürfte es nicht mehr so kalt sein.« Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ich sollte wohl erst mal den Köter hereinholen, sonst nimmt den noch irgendein Hundefänger mit, und ihr seht ihn nicht wieder.«
»Nein, lasst mich das tun«, widersprach Cristin hastig. »Entschuldigt, das ist sehr freundlich von Euch. Aber der Hund wird sich ängstigen, wenn er Bal… ich meine Adam oder mich nicht sieht.« Das Blut schoss ihr in die Wangen.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und eilte zur Haustür hinaus, bevor ihr der Bader Fragen stellen konnte. Draußen lehnte sie sich gegen die Mauer des Gebäudes. Ihr Herz raste, und sie hielt eine Hand auf die Brust, um es zu besänftigen. Meine Güte, es hätte nicht viel gefehlt, und Baldos Name wäre ihr herausgerutscht. Eine derart gedankenlos hingeworfene Bemerkung könnte uns zum Verhängnis werden!,
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