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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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waren. Tränenblind verließ sie das Zelt und stolperte über den Rasen, um sich gegen einen Baum zu lehnen. Herr im Himmel – hatte ihre Mutter das wirklich getan? Und wenn, wie hatte sie ihr das alles verschweigen können? Wenn sie doch nur mit ihr reden könnte. Aber Mutter – oder die Frau, die vorgegeben hatte, ihre Mutter zu sein – war seit Jahren tot, genau wie ihr Vater. Nach Piets Aussagen war auch Sybil vor geraumer Zeit verstorben. Ein Geräusch ließ sie hochschrecken.
    »Was suchst du hier, mitten …« Urban kniff die Augen zusammen. »Hast du geweint, Agnes?«
    »Selbst wenn, geht es dich etwas an?«, fauchte Cristin und wich seinem Blick aus. Im nächsten Moment senkte sie die Lider und gab ihrer Stimme einen freundlicheren Klang. »Ich kann nicht schlafen. Und du?«
    »Der Bär ist unruhig heute Nacht. Ich … ähm, ich wollte eigentlich nur mal …«, Urban wies auf eine Gebüschreihe unweit von ihnen.
    Cristin verstand. Sie sah ihm nach, bis die Dunkelheit seine Gestalt verschluckte. Ihre Gedanken wanderten zu Piets Offenbarung zurück. Nein! Nie mehr würde sie sich diese Lügenmärchen anhören. Ebenso wenig, wie sie diesem Wildfremden Glauben schenkte, der zudem ein Narr war, darin geübt, andere Leute an der Nase herumzuführen.

18
     
    W ährend die Gauklertruppe ihre nächste Vorstellung vorbereitete, fühlte Cristin immer wieder Baldos Blicke auf sich gerichtet. Er wartet, dachte sie voller Grimm. Soll er ruhig. Sie wich ihm aus, wann immer sie konnte, bis der Gefährte sie beiseitezog. Sein Gesicht hatte jenen düsteren Ausdruck angenommen, der ihr zeigte, dass er nicht zu Späßen aufgelegt war.
    »Bisher war ich der Meinung, du könntest dich anständig benehmen. Ich muss mich wohl getäuscht haben, Agnes .« Sie wollte ihm eine scharfe Antwort geben, doch der strenge Zug um seine Lippen ließ sie schweigen. »Du solltest über Piets Worte nachdenken, du stures Frauenzimmer! Findest du es richtig, wie du deinen Bruder behandelst?«
    Cristin war sprachlos. Sie fuhr zusammen, als er den Griff um ihre Schulter verstärkte. »Lass mich los, du Unhold! Du tust mir weh!«
    Baldos Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. »So? Ich tue dir weh? Dann weißt du ja, wie Piet sich fühlen muss!«
    »Ach, sei schon still«, schleuderte sie ihm entgegen, während es in ihr zu brodeln anfing. Sie trat um sich. »Du glaubst ihm also jedes Wort, wie?« Cristin versuchte sich seinem Griff zu entziehen, aber er hielt sie mühelos fest. »Mach ruhig weiter, du Furie. Krüppel bleibt Krüppel.«
    Wie angewurzelt blieb sie stehen und senkte den Kopf.
    »Gut, und jetzt hörst du mich an!« Er zog sie so dicht an sich, dass nicht einmal ein Blatt Pergament zwischen ihre Körper gepasst hätte. Der Puls an seiner Halsschlagader pochte hart. »Ich habe deine Launen satt, verstehst du? Bei allem Verständnis und aller Geduld – meinst du nicht, es wird Zeit, zumindest über Piets Erzählungen nachzudenken? Wie lange meinst du, die Wahrheit noch leugnen zu können?«
    Cristin schnaubte. »Über seine Erzählungen nachdenken? Sie gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber du kannst es scheinbar nicht erwarten, dass ich ihn in die Arme schließe!«
    »Nein.« Auf einmal wirkte Baldos Gesicht schmerzverzerrt. »Auch Piet trägt eine Last mit sich herum, nur bist du offenbar zu eigensinnig, um das zu erkennen.«
    »Du nennst mich eigensinnig? Ausgerechnet du?«
    »Eigensinnig, hartherzig und dickschädelig.«
    Sie schwieg, seine Worte bohrten sich wie Dolchstiche in ihr Innerstes.
    »Ich wäre froh, wenn ich einen Bruder oder eine Schwester hätte, der oder die mir die Hand reicht. Und nun mach, was du willst.« Ruckartig ließ er von ihr ab, drehte sich um und humpelte zu den anderen herüber.
    Cristin sah ihm verdutzt hinterher, bis irgendwann die Erstarrung von ihr wich. Mit fahrigen Bewegungen band sie ihr Kopftuch enger und ging, ohne auf die Gaukler zu achten, auf das Zelt zu. Dort angekommen, blieb sie stehen, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Marktplatz, der sich bereits mit den ersten Schaulustigen zu füllen begann. Am Ufer der Trave setzte sie sich nieder und streckte sich im warmen Gras aus. Aus der Ferne war das Hämmern der Werftarbeiter zu hören. Mit in den Nacken gelegtem Kopf schaute sie in die träge dahintreibenden Wolken. Alles in ihr war in Aufruhr. Eigensinnig, dickschädelig, hartherzig. Sie biss sich auf die Lippen. Die Härte, mit der Baldo gesprochen hatte, erschreckte

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