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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Seele hatten einander berührt, obwohl sie sich bis vor Kurzem nicht mal gekannt hatten. Sie war ein Zwilling, eng verbunden mit ihrem Bruder. Piet wusste seit Langem von ihrer Existenz. Wie hatte er sie nur gefunden? Sie musste ihn fragen, jede Einzelheit in Erfahrung bringen. Cristin dachte an ihre gemeinsame Mutter, an Sybil Kerklich. Die letzten Jahre hatte sie in Lübeck verbracht, war ihr immer ganz nahe gewesen, nur wenige Straßen entfernt, ohne es zu ahnen. Wieso tat die Wahrheit so weh, obwohl sie ihre leibliche Mutter nie kennengelernt hatte? Alle Zeit wurden die Kinder armer Leute weggegeben, trotzdem war es ihr, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Cristin hob die Lider und betrachtete erneut Piets Profil. Wärme durchflutete sie unvermittelt, und sie drängte sich dichter an ihn heran. Als er ihren Blick spürte, lächelte er auf eine Weise, die sie den Schmerz für einen Moment vergessen ließ. »Wer … wer ist unser Vater, Piet?«
    In seinem Gesicht arbeitete es. »Ich weiß nicht viel von ihm. Er soll Bauer gewesen sein und Land für den Markgrafen bewirtschaftet haben, drüben an der Nordsee. Gemeinsam mit anderen kam er hierher, um Salz einzukaufen. Als er unserer Mutter auf dem Markt begegnete, war es sofort um beide geschehen. Aber er war verlobt, die Hochzeit sollte bald stattfinden. Verliebt, wie er in unsere Mutter war, wollte er die Verbindung lösen und bat darum, sie heiraten zu dürfen.« Er zuckte die Schultern. »Mutter lehnte ab.«
    »Sie lehnte ab? Wieso denn? Sie hat ihn doch geliebt, oder etwa nicht?«
    »Oh ja, mehr als ihr recht war.« Sein Lachen klang hohl.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Mutter meinte, sie würde als Gemahlin nicht taugen. Sie wollte keinem Mann dienen, nicht einmal ihm. Es würde eine Zeit kommen, in der die Liebe abkühlt. Sie hätte es nicht ertragen. Außerdem war ein Toslach für sie etwas Heiliges. Sie schickte ihn weg. Danach hat sie nie wieder zugelassen, dass ein Mann ihr wehtat.«
    »Sie ist allein geblieben?«
    Piet zog Cristin hoch und führte sie zum Eingang von St. Marien, damit sie Schutz vor dem heftig prasselnden Regen suchen konnten. Er zog sie in die Arme und grinste wie ein kleiner Junge. »Oh nein, wo denkst du hin? Sie war viel zu hübsch, um allein zu bleiben. Aber länger als ein paar Tage ertrug sie niemanden an ihrer Seite, dann begannen die Verehrer, sie zu langweilen.«
    Eine derartige Denkweise war Cristin fremd, und sie wusste nicht, ob sie Entsetzen oder Bewunderung für die Frau empfinden sollte, die sie geboren hatte.
    Piet lachte lauthals. »Schwesterherz, du siehst aus, als hättest du einen Frosch verschluckt!«
    Cristin antwortete nicht, sie starrte an ihm vorbei durch den jetzt nur noch nieselnden Regen. Ihr Blick blieb am Eingang einer Schänke hängen, aus der zwei junge Seeleute, in Trunkenheit vereint, singend auf die Straße traten. Sie schwankten und stützten sich gegenseitig. Ihre Gedanken kehrten zu der kräuterkundigen Sybil zurück, die nie geheiratet und Männer nur für ein kurzes Vergnügen gesucht hatte. War das nicht Sünde, waren Liebkosungen nicht einem rechtmäßigen Ehepaar vorbehalten? So jedenfalls hatten die Eltern es sie gelehrt.
    »Erzähl mir von deinem Leben, Piet. Erzähl mir alles.«
    »Gern. Aber wir sollten uns langsam auf den Heimweg machen, bevor man hier auf uns aufmerksam wird.«
    Sie hakte sich bei ihm unter. Der Nachtwächter hatte seine Runde beendet, sodass der Rückweg in vollkommener Dunkelheit vor ihnen lag.
    »Wir hatten auch gute Zeiten, weißt du? Manchmal schenkten zufriedene Kunden Mutter Fleisch, Getreide, Salz oder Garn zum Spinnen. Ich lernte, Salben und Pasten herzustellen und an welchen Symptomen Krankheiten zu erkennen waren. Doch als ich diese Dinge beherrschte, langweilten sie mich schnell, deshalb lungerte ich ständig in der Stadt herum.« Er wirkte entrückt. »Eines Tages, ich glaube, es war am Martinstag, waren Gaukler in der Stadt. Ich sah ihnen eine Weile zu und staunte, was sie alles konnten. Besonders der Sänger mit seiner Flöte hatte es mir angetan. Ich lauschte, wie er den Bürgern Kunde von fremden, weit entfernten Ländern und ihren Herrschern brachte. Eine völlig andere Welt tat sich für mich auf.«
    Cristin ergriff seine Hand und fühlte, wie ein Teil seiner Begeisterung auf sie übersprang.
    »Die Dämmerung nahte schon, da scheuchte mich einer der Gaukler vom Platz und meinte, ich sollte nach Hause gehen und mich am Feuer

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