Die Gordum-Verschwörung
dem Land bekannten Linien lässt sich leider nur sehr vage sagen, wo Gordum gelegen haben könnte. Ich vermute, auf dieser Linie hier.“ Sie wies auf eine horizontale Linie, die im Westen in Uttum begann, durch den Upstalsboom verlief und im Osten in Horsten endete.
„Sie sind also von der Existenz Gordums überzeugt?“, fragte Greven, der das Gespräch wenigstens ein bisschen lenken wollte, obwohl er die Erfahrung gemacht hatte, dass viele Menschen, vor allem extrovertierte, viel bereitwilliger Auskunft gaben, wenn man sie einfach reden ließ. Und diese Thea war extrovertiert.
„Absolut. Gordum hat existiert. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“
„Was macht Sie da so sicher?“
„Schon mein Urgroßvater und mein Großvater waren sich sicher, dass es Gordum gegeben hat. Ganz sicher sogar. Und der geheime Ratsbeschluss der Emder.“
„Die Zerstörung und Auslöschung Gordums nach der Zweiten Marcellusflut?“
„Sie kennen sich ja aus.“ Thea Woltke zollte ihm unter Einsatz ihrer großen braunen Augen Respekt.
„Himel von Torum. Historiae obscurae “, erklärte Greven trocken und versuchte, bei der Blondine zu punkten.
„Aber es gibt etwas, was Sie bestimmt nicht wissen.“
„Und das wäre?“
„Erst sagen Sie mir, wo sie geboren wurden und wo Sie heute leben.“
„Spielt das eine Rolle?“
„Eine große!“
„Ich bin in Greetsiel geboren und wohne in Aurich.“
Thea Woltke fuhr die Lautstärke ihrer Stimme herunter: „Dieser geheime Ratsbeschluss aus dem Jahr 1362 gilt bis heute. Er ist niemals aufgehoben worden.“
„Wie?“, sagte Greven und ließ seinen eingezogenen Bauch in sein Baumwollhemd plumpsen.
„Er gilt. Das ist alles. Mit allen Konsequenzen. Was glauben Sie denn, warum ich Emden verlassen habe? Gleich zweimal ist im letzten Jahr bei mir eingebrochen worden, und mehrmals habe ich anonyme Morddrohungen am Telefon erhalten. Nur weil ich mit ein paar Freunden Lü van Gordum gegründet habe. Danach fing nämlich alles an.“
Er blickte ebenso fasziniert wie irritiert in das Gesicht der zierlichen Person, die, wie er durch Häring hatte recherchieren lassen, dank ihrer Familie nicht unvermögend war und Agenturen und Kurverwaltungen mit Werbetexten versorgte. Lü van Gordum war, das behauptete jedenfalls die entsprechende Internetseite, und eine solche Seite ist noch weitaus geduldiger als eine aus Papier, eine ebenso lose wie harmlose Gruppe von Gleichgesinnten, die sich mit New Age, alternativen Lebensstilen, außersinnlicher Wahrnehmung, keltischer Mythologie, Meditation, Begegnungen der dritten Art und anderen Formen der Sinnsuche befasste. Es waren Menschen, die der Moderne entkommen wollten oder sich gegen sie auflehnten. Keine Sekte, eher ein Spielplatz für Amateurphilosophen, ein Markt der Welterklärungen und Strohhalme, an die sich Orientierungslose zu klammern versuchten. Ab und zu wurde auch schon mal ein Seminar angeboten oder ein Gastredner zu einem Gruppentreffen eingeladen. Mehr nicht.
„Noch einmal bitte zum Mitdenken. Wann hat was angefangen, und was haben die Lü van Gordum mit Gordum zu tun?“
„Die Lü van Gordum wurden am 16. Januar 2002 gegründet. Das hat sich einfach so ergeben. Und da ich mich gut mit Gordum auskenne“, erzählte sie und wies noch einmal mit einer Armbewegung auf die seit Generationen gesammelten Exponate hin, „habe ich vorgeschlagen, die neue Vereinigung Lü van Gordum zu nennen. Immerhin haben wir uns ja genau …“
„… sechshundertvierzig Jahre nach der Zerstörung der Stadt …“
„… zusammengefunden. Richtig. Sie haben es erfasst. Zu Ehren Gordums eben, der alten heiligen Stadt unserer Ahnen, die auf der Kreuzung zweier unbekannter heiliger Linien errichtet wurde. Vom Meer umschlungen, vom Festland gehasst, von …“
„Und was passierte dann?“, unterbrach Greven die anschwellende Euphorie.
„Kaum hatten wir eine eigene Homepage, bekam ich anonyme Anrufe. ‘Finger weg von Gordum!’, hat er jedes Mal gesagt. ‘Oder dir passiert was!’ Es war ein männlicher Anrufer. Im März war dann der erste Einbruch, im April der zweite. Das ganze Büro wurde auf den Kopf gestellt, aber gestohlen wurde nur ein Buch.“
„ Gordum . Von Gernot Djuren.“
Greven hatte spontan geraten, doch konnte er Thea Woltkes Miene entnehmen, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Woher …?“
„Es wurde nicht das erste Mal gestohlen. Und sonst fehlte nichts?“
„Nein. Nach dem Einbruch im April fehlte
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