Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Mädchen die Hand und stand auf. »Aber nein, es geht nicht - wirklich nicht! Was soll ich in Konstantinopel? Ich will hierbleiben! Ich will endlich mein eigenes Leben führen, so wie es mir gefällt! Und das kann ich nur, wenn ich mir nicht länger von ihr auf der Nase herumtanzen lasse! - Nein!«, rief sie, als Reyna etwas einwenden wollte. »Ich muss diesen Prozess zu Ende führen! Ich habe keine andere Wahl!«
     

13
     
    Seit Jahren hatte Samuel Usque davon geträumt, ein Buch zu schreiben, doch nie hätte er gedacht, dass Bücherschreiben so schwer sein würde. Schreiben war genauso schwer wie leben. Irgendwo fing man an, doch man wusste nie, wo man enden würde. Jede Minute, die seine Arbeit ihm ließ, verbrachte er am Schreibtisch seiner Kammer. Sein Buch sollte eine Geschichte werden, wie die Welt noch keine zu lesen bekommen hatte: die Geschichte des Volkes Israel und seines Weges aus der Knechtschaft. Samuel wollte darin von den Kämpfen und Leiden der Juden berichten, von den frühesten Anfängen bis zur Gegenwart - zur Tröstung für das Unrecht und die Unterdrückung, die sie immer wieder hatten erdulden müssen, vor allem aber als Verheißung einer Zukunft, in der ihr Elend ein Ende hatte. Diesem Vorhaben hatte er sein Leben geweiht, und er fühlte sich ihm umso dringlicher verpflichtet, seit er in der Schreckensnacht von Antwerpen seinen Bruder verloren hatte. Benjamin sollte nicht umsonst gestorben sein, so wenig wie die tausend und abertausend Juden, die in der Vergangenheit für ihren Glauben gestorben waren. Wie aber sollte man ein Buch der Tröstung und der Hoffnung schreiben, wie sollte man sich und seinen Glaubensbrüdern eine Zukunft in Frieden verheißen, wenn es den Juden selbst nicht gelang, untereinander Frieden zu wahren? Nicht einmal innerhalb einer Familie?
    Als Bettler verkleidet, hatte Samuel nach seiner Flucht von der Esmeralda die Hinrichtung Dom Diogos auf dem Marktplatz von Antwerpen mit eigenen Augen bezeugt, und als letzten Dienst, den er seinem Herrn erweisen konnte, hatte er dessen Testament aus dem Versteck im Judenhaus gerettet - Dom Diogo hatte ihn für den Fall, dass ihm je etwas zustoßen sollte, schon vor Jahren beauftragt, dort nach Anweisungen zu suchen. Doch hätte Samuel geahnt, welchen Unfrieden er damit stiften würde, hätte er den Willen seines Herrn missachtet und das Testament gelassen, wo es war.
    Hatte er sich nicht, ohne es zu wissen, zum Werkzeug des Bösen gemacht, indem er mit Tristan da Costa von Lyon nach Venedig gereist war, um den Schwestern das unheilvolle Schriftstück zu bringen? Und trug er nicht Mitschuld an dem Unglück, das in der Familie Mendes nun ausgebrochen war? Er selbst vermochte nicht zu entscheiden, welche der beiden Schwestern im Recht war. Der Tod seines Bruders hinderte ihn daran. Samuel hatte sich angemaßt, in das Schicksal einzugreifen, als er Benjamin aus der Obhut seiner christlichen Zieheltern gerissen hatte, und sein Bruder hatte dafür mit dem Leben bezahlt. Dona Brianda war wie Benjamin. Sie hatte nur den Wunsch, mit ihrer Tochter in Frieden zu leben. Dazu war sie bereit, sich einzufügen und anzupassen, und niemand hatte das Recht, sie deshalb um ihr Erbe zu betrügen. Doch andererseits: Dona Graciawar die Führerin der Juden, Gott selbst hatte sie beauftragt, das Volk Israel aus der Unterdrückung zu befreien. Dafür brauchte sie das Geld, das Dona Brianda für ihren Palast und ihr eigenes Wohlergehen ausgeben wollte, und wenn sie ihre Schwester mit Hilfe des Testaments nun zwänge, darauf zu verzichten, so geschah dies vielleicht sogar zum Vorteil von Dona Briandas eigenem Seelenheil.
    Hatten nicht beide Schwestern recht? Jede auf ihre Weise? Und war das Unrecht, das sie einander zufügten, nicht Ausdruck jenes viel größeren und umfassenderen Unrechts, das auf ihnen beiden gemeinsam lastete, wie auf dem gesamten jüdischen Volk? Samuel Usque war froh, als Dona Gracia ihn aus seinem Zwiespalt befreite, indem sie ihn auf Reisen schickte. Er sollte nach Rom fahren, um am Hof von Papst Paul, der das Konzil in Trient für einige Monate unterbrochen hatte, die Erlaubnis zur Exhumierung von Dom Franciscos Leichnam zu erwirken, damit sie ihren Mann in Venedig zur letzten Ruhe betten könnte. Dieses Ansinnen, so hoffte sie, würde als christliches Zeichen verstanden werden und sollte zur Stärkung ihrer Position gereichen, sowohl im Prozess gegen ihre Schwester wie auch bei den Verhandlungen, die Dom José für sie in

Weitere Kostenlose Bücher