Die Graefin Charny
Ironie abdrücken wollte, so reichte sie Guadet den Bogen.
»In dem Augenblick, als ich Herrn von Lafayette erblickte,« sagte er, »kam mir ein sehr beruhigender Gedanke: wir haben keinen auswärtigen Feind mehr, dachte ich; die Österreicher werden aufs Haupt geschlagen sein, und Lafayette bringt uns die Nachricht von seinem Siege und von ihrer Vernichtung! Diese Täuschung dauerte aber nicht lange; unsere Feinde sind noch dieselben, und gleichwohl ist Herr von Lafayette in Paris. Kann uns Herr von Lafayette seine Urlaubsbescheinigung vorweisen?«
Ein Deputierter steht auf und sagt: »Meine Herren, Sie vergessen, mit wem Sie sprechen und von wem die Rede ist. Lafayette ist der erstgeborene Sohn der französischen Freiheit, Lafayette hat der Revolution sein Vermögen, seinen Adel, sein Leben geopfert!«
»Sie halten ihm ja die Leichenrede!« ruft eine Stimme.
»Meine Herren,« sagt Ducos, »durch die Anwesenheit eines Generals, der nicht Mitglied unserer Versammlung ist, wird die Freiheit der Diskussion unterdrückt.«
»Das ist noch nicht alles«, setzt Vergniaud hinzu; »dieser General hat seinen Posten vor dem Feinde verlassen. Es fragt sich nur, ob er die Armee ohne Urlaub verlassen hat; ist dies der Fall, so soll man ihn als Ausreißer verhaften und in den Anklagestand versetzen.«
»Dasselbe wollte ich fragen,« sagt Guadet, »und ich unterstütze den Antrag.«
»Ich unterstütze ihn!« rief die ganze Gironde.
Eine Abstimmung gab den Freunden Lafayettes eine Mehrheit von zehn Stimmen.
Lafayette hatte noch eine letzte Hoffnung, von der er seinen Souveränen Mitteilung machte. Am folgenden Tage wollte er mit dem König die Nationalgarde mustern. Es war nicht zu bezweifeln, daß die Gegenwart des Königs und des vormaligen Generalkommandanten eine große Begeisterung hervorrufen würde. Diese günstige Stimmung wollte Lafayette benutzen, die Nationalversammlung zu umzingeln und dem Treiben der Gironde ein Ende zu machen. Während des Tumultes sollte der König eilends abreisen und sich in das Lager bei Maubeuge flüchten.
Es war ein kühner Handstreich, der aber bei der damaligen Stimmung der Gemüter kaum fehlschlagen konnte. – Unglücklicherweise kam Danton um drei Uhr früh zu Pétion, um ihn von dem Anschlage in Kenntnis zu setzen.
Sobald der Tag angebrochen war, ließ Pétion die Musterung absagen.
Wer hatte den König und Lafayette verraten? – Die Königin. – Hatte sie doch laut und offen erklärt, sie wollte lieber durch einen andern umkommen, als durch Lafayette gerettet werden. Ihre Ahnung hatte sie nicht betrogen; sie sollte durch Danton umkommen.
Zu der Stunde, wo die Musterung hätte stattfinden sollen, verließ Lafayette die Hauptstadt und begab sich wieder zu seiner Armee.
Die Zustände im Innern wurden immer schlimmer. Jedermann wartete auf eine Explosion, sie lag in der Luft. In der Nationalversammlung sah man sich nach einem Mann um, der das Rad ins Rollen bringen konnte. Vergniaud, der sich bisher zurückgehalten hatte, wurde herangezogen.
Am dritten Tage war alles in atemloser Spannung, kein Deputierter fehlte auf seiner Bank, die Tribünen waren zum Erdrücken voll, Vergniaud war der letzte, der erschien.
Die ganze Versammlung harrte in gespannter Erwartung; jedermann begriff die Bedeutung dieses Moments.
Vergniaud war damals kaum dreiunddreißig Jahre alt. Er war eine sorglose und träge Natur, sein träumerisches Genie ließ sich gern gehen. Wenn er in der Nationalversammlung sprechen wollte, so arbeitete er drei bis vier Tage zuvor seine Rede aus, feilte, polierte und schliff sie; man ließ ihn daher nur in großen Gefahren, in entscheidenden Momenten sprechen. Er war kein Alltagsmensch, er war nur bei großen Gelegenheiten sichtbar.
»Bürger,« begann Vergniaud mit anfangs kaum vernehmbarer, aber bald laut und eindringlich werdender Stimme, »ich komme zu euch und frage: In welcher seltsamen Lage befindet sich die Nationalversammlung? Welches Verhängnis verfolgt uns und kennzeichnet jeden Tag durch Ereignisse, die uns in unserer Arbeit stören und uns unaufhörlich zwischen Furcht, Hoffnung und Leidenschaft hin und her werfen? Welches Verhängnis versetzt Frankreich in den Zustand der furchtbaren Gärung, in dem man nicht recht weiß, ob die Revolution zurückschreitet oder beharrlich ihr Ziel verfolgt? Kaum scheint unsere Nordarmee in Belgien vorzurücken, so sehen wir sie plötzlich vor dem Feinde zurückweichen. Man zieht den Krieg auf unser Gebiet herüber.
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