Die Graefin Charny
unserer Streitkräfte aufzählen. Die berittene Gendarmerie ist sechshundert Mann stark und steht auf dem Platz des Louvre; die Gendarmerie zu Fuß hält größtenteils den Marstall besetzt; hundertfünfzig Mann dieses Korps sind in das Hotel de Toulouse zum Schutz der Staatskassen geschickt worden; dreißig Mann stehen im ›Prinzenhofe‹ an der kleinen Treppe. Zweihundert Offiziere und Soldaten der vormaligen Garde, hundert Royalisten, ebensoviel Edelleute sind in dem ›Oeil de boeuf‹ und in den umliegenden Sälen verteilt; zwei bis dreihundert Nationalgardisten stehen in den Höfen und im Garten; endlich sind fünfzehnhundert Schweizer auf ihren verschiedenen Posten und haben insbesondere die große Vorhalle und die Haupttreppen zu verteidigen.«
»Und alle diese Vorkehrungen beruhigen Sie nicht?« fragte die Königin.
»Nichts beruhigt mich,« antwortete Charny, »wenn Eure Majestät in Gefahr sind.«
»Sie raten also noch immer zur Flucht, Herr Graf?«
»Ich rate Eurer Majestät, daß Sie sich mit dem König und Ihren erlauchten Kindern in unsere Mitte begeben ...« Die Königin machte eine Bewegung.
»Noch ist alles ruhig, wir haben Zeit, die Tuilerien zu verlassen und die Sternbarriere zu erreichen. Dort erwarten uns dreihundert Reiter von der konstitutionellen Garde. In Versailles sind leicht fünfzehnhundert Edelleute zusammenzubringen, und mit viertausend Mann führe ich Eure Majestät, wohin Sie wollen.«
»Ich danke Ihnen, Herr Graf,« erwiderte die Königin; »ich weiß die Bereitwilligkeit zu schätzen, mit welcher Sie Ihre Teuren verlassen haben, um einer Fremden Ihre Dienste anzubieten ...«
»Eure Majestät sind ungerecht gegen mich«, fiel ihr Charny ins Wort; »das Leben meiner Monarchin wird für mich stets das kostbarste Gut, die Pflicht, die größte Tugend sein.«
»Jawohl, die Pflicht«, erwiderte die Königin; »aber auch ich glaube meine Pflicht zu kennen ... an mir liegt es, die Würde des Königtums zu wahren, oder wenn es angegriffen wird, ehrenvoll mit ihm zu fallen.«
»Ist dies das letzte Wort Eurer Majestät?«
»Ja, und zumal mein letzter Wunsch.«
Charny verneigte sich.
»Madame,« sagte er, »Eure Majestät setzen Ihre Hoffnung gewiß noch auf andere Umstände ... Wenn dies der Fall ist, so beschwöre ich Eure Majestät, sagen Sie es mir! Bedenken Sie, daß ich morgen um diese Zeit den Menschen oder Gott Rechenschaft zu geben habe über alle Ereignisse, die sich bis dahin hier zutragen werden.«
»So hören Sie, Graf«, erwiderte die Königin. »Pétion muß zweihunderttausend Franken und Danton fünfzigtausend erhalten haben. Danton hat versprochen, zu Hause zu bleiben, und Pétion wollte ins Schloß kommen.«
»Haben Eure Majestät zuverlässige Vermittler gewählt?«
»Sie sagen ja selbst, Pétion sei eben gekommen.«
»Ja, Madame.«
»Das ist schon etwas, wie Sie sehen.«»Aber noch keineswegs genug«, entgegnete Charny; »wie ich höre, hat man dreimal zu ihm geschickt, ehe er gekommen ist.«
»Wenn er mit uns hält,« sagte Marie Antoinette, »soll er im Gespräch mit dem König den Zeigefinger auf das rechte Auge legen.«
»Wenn er aber nicht mit uns hält ...«
»Dann ist er unser Gefangener.«
In diesem Augenblick hörte man den Ton einer Glocke.
»Was ist das?« fragte die Königin.
»Die Sturmglocke«, antwortete Charny.
Die Prinzessinnen standen erschrocken auf.
»Madame«, sagte Charny, auf den das Geläut einen größeren Eindruck zu machen schien, als auf die Königin; »ich will mich erkundigen gehen.«
»Man wird Sie doch wiedersehen?« fragte Marie Antoinette hastig.
»Ich bin gekommen, um mich Eurer Majestät zur Verfügung zu stellen und werde den König erst mit dem letzten Schatten der Gefahr verlassen.«
Die Königin sann eine Weile nach.
»Ich will doch sehen,« sagte sie für sich, »ob der König gebeichtet hat«, und verließ ebenfalls das Zimmer.
In diesem Augenblick fiel ein Schuß im Hofe.
»Da fällt der erste Schuß«, sagte Madame Elisabeth; »es wird leider nicht der letzte sein!«
Pétion war gegen elf Uhr in die Tuilerien gekommen.
Vor der Tür zum König begegnete ihm Maudat, der Kommandant der Nationalgarde.
»Ah, Sie sind's, Herr Bürgermeister?« sagte der Kommandant. »Was wollen Sie hier?«
»Ich könnte diese Frage unbeantwortet lassen,« erwiderte der Bürgermeister, »denn Sie sind nicht berechtigt, mich zu examinieren; aber ich habe Eile und will's Ihnen sagen. Ich bin hierhergekommen, weil der
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