Die Graefin Charny
geworden. Verständige Leute gaben ihm daher den Rat, sich weder mit Taten noch Worten den Befehlen der Nation zu widersetzen.
Katharina und Pitou hatten sich nach Haramont zurückgezogen. Katharina hatte anfangs die Absicht gehabt, in der Waldhütte des alten Clouis wieder eine Zuflucht zu suchen; aber als sie an der Tür des alten Waldhüters angekommen waren, hatte dieser den Finger auf den Mund gelegt und den Kopf geschüttelt, um ihr Stillschweigen zu gebieten und die Unmöglichkeit, sie aufzunehmen, anzudeuten.
Der Platz war nämlich schon besetzt. Das Gesetz über die Verbannung der nicht beeideten Geistlichen war in Vollzug gesetzt worden, und der Abbé Fortier war verbannt worden. Aber er hatte sich nicht entschließen können, über die Grenze zu gehen, und seine freiwillige Verbannung hatte sich darauf beschränkt, daß er sein Haus zu Villers-Cottersts verließ und bei dem alten Clouis eine Zuflucht suchte, die dieser ihm auch bereitwillig gewährte.
Katharina und Pitou mußten daher ihren Plan aufgeben. Es blieb Katharina nur die Wahl zwischen dem Hause der Tante Angelika in Villers-Cotterêts und der bescheidenen Wohnung Pitous in Haramont.
An eine Aufnahme bei der Tante Angelika war nicht zu denken; denn die alte Jungfer war während der Revolution noch zänkischer und magerer geworden, als sie zuvor gewesen war.
Es blieb noch das Häuschen Pitous in Haramont, das Pitou aber nur im äußersten Notfall beziehen wollte. Er hatte sich daher entschlossen, bei seinem Freunde Desiré Maniquet ein Unterkommen zu suchen. Doch all dies vermochte die arme Katharina über die Zukunft keineswegs zu beruhigen.
Die Beweise treuer Hingebung rührten Katharina; sie fühlte, daß Pitou sie glühend liebte, vergötterte, und zuweilen dachte sie, daß sie diese treue, aufopfernde Liebe wohl durch ein zärtlicheres Gefühl als dasjenige der Freundschaft belohnen könnte.
Die arme Katharina stand ganz allein in der Welt, und Pitou war ihre einzige Stütze, auch drängte sich ihr der Gedanke auf, daß sich niemand als Pitou ihres Kindes annehmen würde, wenn der kleine Isidor das Unglück hätte, seine Mutter zu verlieren. So kam sie nach und nach zu dem Entschlusse, Pitou die einzige Belohnung zu geben, die in ihrer Macht stand, ihm ihre ganze Freundschaft und ihre Hand zu schenken.
Es verstrichen beinahe sechs Monate, bis sich Katharina mit diesem Gedanken ganz vertraut machte. Pitou wurde während dieser Zeit jeden Morgen mit freundlichem Lächeln begrüßt, jeden Abend mit zärtlicherem Händedruck entlassen; aber er hatte von Katharinas Absicht nicht die leiseste Ahnung.
Eines Abends bot sie ihm zum Abschiede nicht nur die Hand, sondern auch die Stirn. Pitou glaubte, Katharina sei zerstreut, und er war zu ehrlich, um eine Zerstreuung zu benützen.
Er trat einen Schritt zurück; aber Katharina ließ seine Hand nicht los, sie zog ihn an sich und bot ihm nicht mehr die Stirn, sondern die Wange.
Pitou zögerte noch mehr. Der kleine Isidor, der es sah, sagte zu ihm:
»Papa Pitou, küsse doch Mama Katharina!«
»O mein Gott!« stammelte Pitou, der so blaß wurde, als ob er sterben sollte.
Und er drückte zitternd seinen Mund auf Katharinas Wange.
Katharina nahm ihren Knaben und legte ihn in Pitous Arme.
»Ich gebe Ihnen das Kind, Pitou,« sagte sie; »wollen Sie gleichzeitig auch seine Mutter nehmen?«
Dem armen Pitou schwindelte der Kopf, er schloß die Augen und sank, den Knaben in seinen Armen haltend, auf einen Sessel.
»Lieber kleiner Isidor,« sagte er, »wie lieb habe ich dich!«
Es wurde nun von der Heirat gesprochen. Pitou sagte zu seiner Braut:
»Ich will dich nicht drängen, Katharina; aber wenn du mich recht glücklich machen willst, so schiebe mein Glück nicht zu lange auf.«
Katharina wollte noch einen Monat warten. – Nach drei Wochen begab sich Pitou in Uniform zu der Tante Angelika, um ihr seine bevorstehende Heirat anzuzeigen.
Er fand sie tot in deren Bett.
»Ach, arme Tante Angelika«, sagte er und kniete vor dem Bett nieder.
Vor der Tür hatte sich bereits eine große Menschenmenge angesammelt. Jeder wußte über den Tod der Tante Angelika etwas zu erzählen. Einige meinten, sie sei vom Schlage getroffen, andere, es sei ein Blutgefäß gesprungen, noch andere, sie sei an Entkräftung gestorben.
Alle flüsterten einander zu: »Wenn Pitou nicht dumm ist, wird er auf dem obersten Brett des Schrankes in einem Buttertopf oder unter dem Strohsack in einem Strumpfe einen verborgenen
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