Die Graefin Charny
Kind.
»Ich wäre schon gern hingegangen,« sagte er, »aber ich getraute mich nicht, Sie um die Erlaubnis zu bitten.«
Gilbert schrieb einige Zeilen an seinen Sohn.
»Hier,« sagte er, »nimm einen Wagen und fahre zu Sebastian; wahrscheinlich wird er durch dieses Billett bewogen werden, einen Besuch zu machen; du wirst ihn begleiten, nicht wahr, lieber Pitou, und wirst ihn vor der Tür des betreffenden Hauses erwarten?«
Pitou nahm einen Fiaker, fuhr zu Sebastian, schloß ihn in seine Arme und küßte ihn zärtlich; dann stellte er ihn wieder auf den Boden und übergab ihm den Brief seines Vaters.
Sebastian küßte den Brief mit der aufrichtigen Ehrerbietung und Zärtlichkeit, die er für seinen Vater hegte; dann fragte er nach kurzem Besinnen:
»Lieber Pitou, hat dir mein Vater nicht gesagt, daß du mich irgendwohin begleiten sollst?«
»Jawohl, wenn es dir angenehm ist.«
»Ja, ja,« sagte der Knabe lebhaft, »ja, es ist mir recht angenehm, und du wirst meinem Vater sagen, daß ich mit Vergnügen bereit gewesen sei.«
Sebastian war kein Kind mehr; er war fast siebzehn Jahre alt; sein Gesicht war regelmäßig schön und ausdrucksvoll, sein üppiges kastanienbraunes Haar wallte in natürlichen Locken auf seinen Nacken herab, und aus seinen blauen Augen leuchtete das erste Jugendfeuer.
»Ich weiß nicht, wohin wir fahren«, sagte Pitou, ehe sie einstiegen; »du mußt also die Adresse angeben.«
»Dafür laß mich nur sorgen,« erwiderte Sebastian, »Rue Coq-Héron Nr. 9,« sagte er zu dem Kutscher, »das erste Haustor von der Rue Coquillière.«
»Aber, lieber Pitou,« sagte Sebastian, »wenn die Person, die ich besuche, zu Hause ist, so werde ich wohl eine Stunde, vielleicht noch länger bei ihr bleiben.«
»Das tut nichts,« antwortete Pitou, »ich bin darauf vorbereitet!«
Als der Wagen in die Nähe des bezeichneten Hauses kam, schien Sebastian unruhig, fast fieberhaft aufgeregt zu werden. Er richtete sich im Wagen auf, steckte den Kopf zum Schlage hinaus und rief:
»Geschwind! Kutscher, geschwind!«
Als sie angelangt waren, öffnete Sebastian selbst den Schlag, drückte seinem Freunde Pitou noch einmal die Hand und eilte in den Pavillon.
Nach fünf Minuten tat sich die Wagentür auf, der Türhüter machte einen Bückling und sagte:
»Die Frau Gräfin von Charny bittet den Herrn Kapitän Pitou, sich gefälligst hineinzubemühen.«
Pitou stieg aus und folgte dem Türhüter ganz verblüfft in den Pavillon. Seine Verlegenheit wurde noch größer, als er im Vorzimmer eine schöne Dame erblickte, die Sebastian an ihre Brust drückte und, ohne ihn loszulassen, dem Eintretenden die Hand reichte.
»Herr Pitou,« sagte sie zu ihm, »Sie haben mir eine so große, so unverhoffte Freude gemacht, daß ich Ihnen persönlich danken wollte.«
Pitou machte große Augen, er stammelte einige unverständliche Worte, aber die Hand der schönen Dame ließ er unberührt.
»Nimm diese Hand und küsse sie, Pitou,« sagte Sebastian, – »meine Mutter erlaubt es.«
»Deine Mutter?« fragte Pitou.
Sebastian nickte bejahend.
»Ja, seine Mutter!« sagte Andrea, deren Augen vor Freude strahlten; – »seine Mutter, der Sie ihn nach neunmonatlicher Abwesenheit wieder zugeführt haben; seine Mutter, die ihn nur einmal gesehen hatte, und die, in der Erwartung, daß Sie ihn noch öfter hierher bringen werden, kein Geheimnis vor Ihnen haben will, obgleich dieses Geheimnis, wenn es bekannt würde, ihr nur verderblich werden könnte.«
»Mein Sohn hat mir gesagt,« fuhr die Gräfin fort, »daß Sie noch nicht gefrühstückt haben ... Gehen Sie in das Speisezimmer, Herr Pitou, und während ich mit Sebastian plaudere – Sie werden einer Mutter doch dieses Glück gönnen? – sollen Sie bedient werden.«
Als Pitou zwei Koteletts verzehrt hatte und eben ein gebratenes Huhn anschnitt, tat sich die Tür auf, und ein junger Kavalier trat ein, offenbar in der Absicht, sich in den Salon zu begeben.
Pitou schaute auf, der junge Kavalier schlug die Augen nieder; beide erkannten einander und gaben ihre Überraschung durch den Ausruf zu erkennen:
»Herr Vicomte von Charny!«
»Ange Pitou!«
Pitou stand auf, sein Herz schlug ungestüm; der Anblick des jungen Kavaliers erinnerte ihn an die gewaltigsten Regungen, die er je gefühlt hatte.
Isidor wurde durch Pitous Anblick an gar nichts erinnert; er wußte nur, daß Katharina dem braven Menschen viel Dank schuldig war.
Er ging daher ganz unbefangen auf Pitou zu, in welchem er trotz
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