Die Graefin der Woelfe
zu wissen, wie der Doktor die Gräfin dazu brachte, ihr eigenes Kind zu vergessen. Kaum hatte sie Lucias wohlgerundeten Bauch abgetastet, stellte sie ihre Fragen.
»Sag, weißt du, was der Doktor ihr gibt?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Hast du schon mal daran gerochen?«
»Oh ja, es ist ein sehr außergewöhnlicher Geruch, nicht vergleichbar mit irgendetwas, das ich kenne. Es riecht irgendwie dunkel und würzig und die Tropfen sind beinahe braun.«
Das deckte sich in etwa mit dem, was sie gelesen hatte. Der Doktor verabreichte seiner Patientin offensichtlich Schlafmohn, den Vergessenheitstrank der alten Griechen. Doch ihr Granatapfel warnte davor, das Mittel plötzlich abzusetzen. Der Mensch schien sich rasch an die Substanz zu gewöhnen, und wenn er sie plötzlich missen musste, war es wohl so, als würde er von tausend Dämonen befallen.
»Kommst du an das Fläschchen heran, Lucia?«
Lucia schüttelte den Kopf. »Ich würde es schon schaffen, aber ich würde es ungern tun. Wenn die Zofe mich erwischt, müsste sie uns auch noch hinauswerfen und dann ist niemand mehr da, der ihr hilft. Glaub mir, sie ist kein schlechter Mensch und für die Gräfin würde sie alles tun. Wenn sie nur wüsste, was. Sie hat einfach keinen Mut.«
»Ich weiß. Sprich mit ihr. Sag ihr, sie soll die Tropfen verdünnen und ihr langsam immer weniger davon geben. Aber sie darf auf keinen Fall auf einmal damit aufhören. Sag ruhig, von wem du das hast. Ich glaube, sie weiß viele Dinge ganz gut einzuschätzen.«
*
Lucia hatte die Hände auf den schwellenden Bauch gelegt und saß breitbeinig in der Küche. Das Laufen fiel ihr langsam schwer und Marijke überlegte, dass die Küchenmagd sicherlich bald niederkam. Hoffentlich ging bei der Geburt alles gut, sie wüsste nicht, was sie ohne Lucia und Jelko in den vergangenen Monaten getan hätte. Jetzt in jedem Fall war die junge Frau sehr aufgeregt. Sie erzählte frei von der Leber hinweg, wie sie mit der Hebamme über die Gräfin gesprochen hatte. Ein Umstand, der Marijke nicht verwunderte und sie weniger ärgerte, als sie vermutet hatte. Interessant jedoch war, was Lucia von dem Vergessenheitstrank erzählte.
»Margeth kennt sich mit Heilmitteln aus.« Das war mehr eine Feststellung denn eine Frage.
Lucia nickte eifrig. »Sie ist eine gute Hebamme und sie hat die Gräfin damals gut behandelt.«
Marijke winkte müde ab. »Ich weiß.«
Sie war sich noch immer sicher, richtig gehandelt zu haben, als sie ihr damals die Tür gewiesen hatte. Dennoch fehlte ihr der Rat der klugen Frau. Marijke überlegte nicht lange. »Ich werde tun, was sie sagt und schauen, was daraus wird.«
Ein paar Nächte später, Marijke hatte die Tropfen mit Wasser verdünnt, wachte Amalia wimmernd und krampfend auf. Sie hatte schlechte Träume gehabt und zum ersten Mal in ihrem Leben schlug sie nach Marijke, die an ihr Bett eilte, um ihr die Stirn zu kühlen.
»Verschwinde, Satan«, rief sie.
Marijke entzündete eine Kerze und trat näher an das Bett heran. »Ich bin es doch, Prinzessin.«
»Los, mach dass du wegkommst, Weib! Elende Sünderin! Hau ab und lass mich endlich in Ruhe sterben.« Mit beiden Händen versuchte Amalia, sie von sich zu drücken.
Marijke duckte sich unter den Schlägen und begann zu weinen. War das der Grund gewesen, warum die Hebamme wollte, dass sie Erasmus‘ Tropfen verdünnte? Wollte sie einen Keil zwischen sie und die Gräfin treiben?
Niemals in ihrem Leben hatte sie sich solche Worte anhören müssen. Marijke stellte den Leuchter außerhalb der Reichweite der Tobsüchtigen ab und machte sich bereit, den Doktor zu rufen. Da fing die Gräfin auf einmal leise an zu wimmern.
»Mein Kind, mein liebes Kind. Gebt mir mein Kind zurück.« Ein unmenschliches Schluchzen schüttelte Amalia.
Marijke kniete nieder und ergriff ihre heiße Hand. »Ich bin es, Prinzessin. Marijke, ich wache über Sie. Schlafen Sie und werden Sie gesund, dann holen wir Elena zurück.«
Noch einmal bäumte sich die Gräfin auf, dann sank sie ermattet in ihr Kissen, Marijkes Hand fest umklammert. In den folgenden Tagen wurden die Anfälle häufiger und schlimmer. Sie schrie und tobte und Erasmus versuchte, ihr immer mehr von den Tropfen einzugeben. Es bedurfte der ganzen Aufmerksamkeit und Zusammenarbeit von Lucia und Marijke, damit er nicht bemerkte, dass seine Medizin immer weiter verdünnt wurde. Alle atmeten sie auf, als er wenige Tage später zu einer seiner regelmäßigen Reisen aufbrach. Aus
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