Die Graefin der Woelfe
»Für diese neuerliche Begebenheit gibt es einen ernst zu nehmenden Zeugen. Es ist der kaiserliche Verwalter des Gradisker Distrikts, der darüber an die Verwaltung in Belgrad berichtete. Eine Abschrift des Berichts liegt mir vor.« Erst jetzt bemerkte Ranft den Diener und hielt ihm den Becher hin, ohne die schreckgeweiteten Augen des Mannes zu beachten.
Erasmus ließ sein Essen stehen, er hatte nur noch Augen und Ohren für Ranft. »Und, was steht in dem Bericht? Erzählen Sie weiter!« Er spürte, dass er ungeduldig wurde, seine Hände kribbelten, sein Atem ging schneller.
»Dem Bericht zufolge war in dem Dorf Kisolova ein gewisser Peter Plogojowitz verstorben und nach örtlichem Brauch bestattet worden. Innerhalb der darauf folgenden acht Tage wurden neun Personen von einer unheimlichen Krankheit befallen, die sie im Zeitraum von nur vierundzwanzig Stunden aufs Totenbett brachte.« Ranft hatte die verschiedenen Punkte mit den Fingern angezeigt, jetzt überkreuzte er die Hände und ließ die Gelenke knacken. »Stellen Sie sich vor, die neun Personen hatten ohne Ausnahme kurz vor ihrem Ableben öffentlich ausgesagt, dass eben jener Peter Plogojowitz im Schlaf zu ihnen gekommen sei. Er habe sich auf sie gelegt und sie gewürgt, und dies sei der Grund, warum sie nun ihren Geist aufgeben müssten. Zusätzliche Würze bekam die Angelegenheit durch die Aussage des Eheweibs des Plogojowitz, die erklärte, ebenjener sei – nach seinem Ableben – bei ihr gewesen und habe seine Schuhe verlangt.«
Erasmus bemerkte, dass er nicht der Einzige war, der dem Magister gebannt zuhörte. Sämtliche anderen Gespräche waren zum Erliegen gekommen und die Geschichte machte rasch die Runde.
Schließlich gelangte sie auch an den oberen Teil der Tafel, an dem die ranghöchsten Gäste mit dem Grafen und der Gräfin speisten. Man sprach nun allgemein über schmatzende Tote und Wiedergänger.
*
Amalia kümmerte sich nicht um die Gespräche, die um sie herum immer lauter geführt wurden. Sie war immer noch viel zu sehr damit beschäftigt, sich über den schönen Nachmittag zu freuen. Nur mit halbem Ohr hörte sie Lucas von Hildebrandt zu, der die Geschichte bestätigte. Er hatte von der Sache vor einigen Wochen im »Wienerischen Diarium« gelesen.
»Man hat den Toten angeblich exhumiert«, erklärte er, auf vollen Backen kauend. »Von dem Grab war keinerlei Verwesungsgeruch – verzeihen, die Damen – also keinerlei unangenehmer Geruch ausgegangen. Einzig seine Nase hat der Tote einbüßen müssen. Ansonsten soll er vollkommen unversehrt gewesen sein. Haare und Bart sowie die Nägel wären nachgewachsen und die Haut frisch und rosig wie die eines Neugeborenen gewesen.« Von Hildebrandt nahm einen tiefen Schluck von dem guten Tokaier. »In seinem Mund haben sie frisches Blut entdeckt und auch die entsprechenden Flecken auf seinem Kragen. Aber wenn Sie mich fragen, ist das alles ausgemachter Humbug.« Mit diesen Worten griff er erneut nach der Wildpastete, die ihm hier noch besser zu munden schien als in seinem Wiener Lieblingslokal.
Mit jedem Wort war Amalias Interesse größer geworden. Immerhin hatte die Geschichte in der Zeitung gestanden. Amalia spürte, wie eine eiskalte Furcht in ihr hochzukriechen begann. Sie schluckte einige Male, doch die Angst wollte nicht verschwinden. Ohne es zu wollen, stellte sie dem Architekten die einzige Frage, die sie beschäftigte. »Liebster von Hildebrandt, wie können Sie sicher sein, dass es sich um Humbug, wie Sie es nennen, handelt? Immerhin haben Sie gesagt, dass es in den Zeitungen steht.« Amalia hielt ihre Gabel fest umklammert. Bittere Galle stieg ihr auf und brachte ihren Schlund zum Brennen.
Lucas von Hildebrandt zeigte sich ungerührt. »Frau Gräfin, glauben Sie nicht alles, was die Leute schreiben. Es stehen viele Fantastereien in den Blättern. Neulich hat sogar einer dieser Tintenkleckser behauptet, der Umbau des Stiftes Göttweig würde niemals fertiggestellt werden.« Entrüstet schüttelte der Architekt das Haupt.
Amalia legte ihr Besteck aus der Hand. Ihr war übel geworden und sie konnte nicht mehr essen. Ihr Blick blieb an Erasmus hängen, der am Ende der Tafel mit hochrotem Kopf und vollen Backen auf Ranft einredete.
Die Toten sollten wiederkommen und die Lebenden mit einer schrecklichen Krankheit anstecken. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken. Sie hatte schon einmal etwas Derartiges gehört, aber da waren es Geschichten des fahrenden
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