fast gestürzt. Despiaux fing ihn auf. «Du siehst also», sprach der Oberst, «dein Komplize konnte eure Untat nicht ertragen und hat es vorgezogen zu sterben.»
«Wenigstens hatte er Ehre im Leib», fügte der Richter hinzu. «Worauf wartest du also noch? Sag uns alles.» Stille trat ein, doch sie hielt nicht lange an. Despiaux erzählte mir, der Junge habe erst ihn angesehen, dann Mierck, dann Matziev, und plötzlich habe er ein Gebrüll ausgestoßen, wie man es im Bürgermeisteramt noch nie gehört habe. Despiaux meinte sogar, er habe es niemals für möglich gehalten, dass ein Mann derart brüllen könne, und das Schlimmste sei gewesen, dass es kein Ende genommen, nicht aufgehört habe, dass man sich wirklich gefragt habe, wo der schmächtige Mensch die Kraft für diesen Schrei hernehme. Nur ein Schlag mit der Reitpeitsche, die ihm der Oberst quer übers Gesicht hieb, konnte ihn beruhigen. Der Oberst war dafür sogar vom Tisch aufgestanden. Der kleine Bretone verstummte unvermittelt. Ein breiter violetter Striemen lief ihm übers Gesicht. Mit einer Kopfbewegung gab Mierck dem Gendarmen zu verstehen, er könne ihn wieder in den Keller hinunterbringen, aber als der sich gerade anschickte, den Befehl auszuführen, gebot Matzievs Stimme ihm Einhalt.
«Ich weiß was Besseres», sagte er. «Bringen Sie ihn in
den Hof, damit er seinen Kopf abkühlen kann. Vielleicht
findet er so sein Gedächtnis wieder.»
«In den Hof?», fragte Despiaux.
«Ja, dahin», antwortete Matziev und zeigte hinaus. «Sie haben da sogar eine Art Pfahl, an dem sie ihn festbinden können. Wegtreten!»
«Es ist nur, Herr Oberst, es ist so kalt draußen, es friert sogar», wagte Despiaux zu sagen.
«Tun Sie, was Ihnen gesagt wird», schnitt ihm der Richter, dem es endlich gelungen war, ein Stück Schinken vom Knochen zu lösen, das Wort ab.
«Damals war ich zweiundzwanzig Jahre alt», erzählte mir Despiaux, während wir noch eine Runde Pernod bestellten. «Was kann man mit zweiundzwanzig schon sagen, was kann man tun? Ich hab den Kleinen in den Hof gebracht und an den Kastanienbaum gebunden. Es war vielleicht neun Uhr. Aus dem Büro, wo man vor Hitze starb, kamen wir hinaus in die Nacht und den Frost, es waren zehn, vielleicht zwölf Grad unter null. Ich war wirklich nicht stolz auf mich. Der Kleine stöhnte.
, flüsterte ich ihm ins Ohr. , schwor er leise, mit klagender Stimme. Im Hof war's stockfinster. Am Himmel standen die Sterne, vor uns lag hell erleuchtet das Fenster vom Büro des Bürgermeisters, und in diesem Fenster sah man eine unwirkliche Szene, ausgeschnitten wie für ein Kindertheater, zwei Männer mit zinnoberroten Gesichtern, die an einem reich gedeckten Tisch aßen und tranken, ohne sich um irgendwas anderes zu kümmern. Ich ging zurück ins Büro, und der Oberst sagte zu mir, ich solle im Nebenzimmer warten, bis sie mich rufen würden. Ich ging rüber. Ich setzte mich auf eine Art Bank, wartete und fragte mich, was ich tun sollte. Auch dort gab es ein Fenster, und da sah man den an den Baum gefesselten Gefangenen. Ich blieb im Dunkeln sitzen. Wollte das Licht nicht anmachen, damit er mich nicht sehen konnte. Ich schämte mich. Ich hatte Lust, wegzulaufen, mich vom Acker zu machen, aber die Uniform hielt mich zurück, es war eine Frage des Respekts. Wenn so etwas heute geschähe, hielte mich nichts zurück, so viel ist sicher. Gelegentlich hörte ich ihre Stimmen, ihr Gelächter und die Schritte der Dienerin des Bürgermeisters, die Schüsseln voll dampfender Speisen brachte. Aber an jenem Tag stach mir deren Duft wie unerträglicher Gestank in die Nase. Ich hatte einen Stein im Magen. Ich konnte mir nicht verzeihen, dass ich ein Mensch war.»
Louisette ging häufig hin und her. «In einer Kälte, bei der man keinen Hund vor die Tür gejagt hätte», sagte sie mir. Die Mahlzeit dauerte eine Ewigkeit. Mierck und Matziev hatten Zeit, sie labten sich an dem Mahl und all dem Übrigen. Louisette sah sie nicht an, wenn sie das Zimmer betrat, das ist ein Tick von ihr: Immer starrt sie auf ihre Füße.
An diesem Abend noch unbeirrbarer als sonst. «Die beiden haben mir Angst gemacht, und außerdem wurden sie immer besoffener!» Den kleinen Bretonen im Hof will sie nicht gesehen haben. Manchmal ist es bequem, wenn man nichts sieht.
Von Zeit zu Zeit ging der Oberst hinaus, um