Die grauen Seelen
einige Worte an den Gefangenen zu richten. Er beugte sich über ihn, flüsterte ihm ins Ohr. Der kleine Bretone schlotterte und stöhnte, er sei es nicht gewesen, er habe nichts getan. Der Oberst zuckte die Achseln, rieb sich die Hände und ging schnell zurück ins Warme. Despiaux sah alles. In der Dunkelheit sitzend, wie gefesselt auch er. Gegen Mitternacht waren Mierck und Matziev, deren Lippen noch vom Gelee der Schweinsfüße glänzten, mit dem Käse fertig. Sie redeten immer lauter, sangen sogar ab und an. Schlugen mit der flachen Hand auf den Tisch. Sie hatten sechs Flaschen geleert. Einfach so. Beide gingen auf den Hof hinaus, wie um ein wenig Luft zu schnappen. Für Matziev war es der fünfte Besuch. Sie umkreisten den kleinen Bretonen, als wäre er Luft. Mierck legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel. Sprach im Plauderton über die Sterne. Er zeigte Matziev die Sternbilder, nannte ihre Namen. Sterne waren ein Steckenpferd des Richters. «Sie trösten uns über die Menschen hinweg, sie sind so rein.» Das sind seine eigenen Worte. Despiaux hörte, was geredet wurde, dazu das Zähneklappern des Gefangenen, das klang, als würde ein Stein gegen eine Wand geschlagen. Matziev nahm eine Zigarre heraus und bot dem Richter eine an; der lehnte ab. Die Köpfe dem Himmelsgewölbe zugewandt, sprachen sie noch eine Weile über die Sterne, die Bewegungen der Planeten. Dann gingen sie, wie von der Tarantel gestochen, auf den Gefangenen los. Er war bereits seit drei Stunden da draußen in der Kälte. Und es war keine gewöhnliche Kälte. Er hatte genügend Zeit gehabt, die Sterne eingehend zu studieren, bevor seine Lider mit gefrorenen Tränen verklebt waren. Der Oberst hielt ihm die Glut seiner Zigarre unter die Nase und stellte ihm wieder und wieder dieselbe Frage. Der Bursche gab nicht einmal mehr Antwort, er stöhnte nur noch. Nach kurzer Zeit ging dem Oberst das Gestöhn auf den Wecker.
«Sind Sie eigentlich ein Mensch oder ein Tier?», schrie er ihm ins Ohr. Keine Reaktion. Matziev warf seine Zigarre in den Schnee, packte den an den Baum gefesselten Gefangenen und schüttelte ihn. Mierck beobachtete das Schauspiel und blies sich dabei in die Hände. Matziev ließ den schlotternden Körper des kleinen Bretonen fallen, dann schaute er nach links und rechts, als suche er etwas. Aber er fand nichts, hatte allerdings plötzlich einen Einfall, einen richtig schön dreckigen Einfall in seinem verdorbenen Kopf. «Vielleicht ist dir ja noch ein bisschen zu warm?», raunte er dem Bengel ins Ohr. «Ich werde dir ein wenig das Mütchen kühlen, mein Freund!» Er nahm ein Jagdmesser aus der Tasche und klappte es auf. Dann schnitt er die Knöpfe von der Jacke des kleinen Bretonen, einen nach dem anderen, danach von seinem Hemd, und dann schlitzte er ihm mit einem Schnitt das Unterhemd auf. Er zog ihm vorsichtig die Kleider aus, und der nackte Oberkörper des Gefangenen leuchtete als heller Fleck in der Finsternis des Hofes. Und sobald Matziev oben fertig war, ging er mit der Hose, der langen Unterhose und der Unterhose genauso vor. Er schnitt die Schnürsenkel durch und zog ihm, Caroline et ses souliers vernis pfeifend, langsam die Schuhe aus. Der Bengel schrie, schlug mit dem Kopf wie ein Verrückter. Matziev stand auf: Der Gefangene lag splitternackt zu seinen Füßen. «Geht's dir jetzt besser? Fühlst du dich so wohler? Ich bin sicher, deine Erinnerung wird bald zurückkehren.» Er drehte sich zum Richter um, worauf der sagte: «Lass uns reingehen, mir wird langsam kalt.» Die beiden lachten wie über einen gelungenen Witz. Und schlenderten nach drinnen, um das große, dampfende Apfelcrepe zu essen, das Louisette soeben, zusammen mit dem Kaffee und einer Flasche Mirabellengeist, auf den Tisch gestellt hatte.
Despiaux sah in den Junihimmel hinauf, sog die milde Luft ein. Nach und nach wurde es Nacht. Ich hörte ihm zu und rief den Ober, damit er unsere Gläser füllte. Um uns herum auf der Terrasse waren übermütige und lustige Leute, aber heute kommt es mir so vor, als wären wir allein gewesen.
«Ich stand am Fenster, im hinteren Teil des Raumes», fuhr Despiaux fort. «Ich konnte meinen Blick nicht vom Körper des Gefangenen lösen. Er hatte sich wie ein Hund um den Fuß der Baumes zusammengerollt, und ich sah, wie er sich bewegte und zitterte. Mir sind die Tränen gekommen, Ehrenwort, sie liefen mir übers Gesicht, und ich tat nichts, um sie aufzuhalten. Und dann fing der Bengel an, lang gezogene Schreie
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