Die grosse Fahrt der Sable Keech
kannte. Er wusste, was Haupt-, Bram- und Toppsegel waren, aber erst über den Verstärker erfuhr er alles über Skeisel, Moonraker und Stagsegel und zahlreiche Begriffe über die verschiedenen Takelageformen. Ihm wurde klar, dass seine Arbeit hier weniger einfach sein würde als erwartet, und er begriff jetzt, was Windtäuscher ihm einmal erklärt hatte: »Technik bedeutet, dass du härter mit dem Gehirn arbeitest als früher mit den Muskeln, aber der Lohn kann sich als größer erweisen.«
Schnauf pflichtete dem ersten Teil dieser Aussage bei, fragte sich aber, ob sich der zweite jemals verwirklichen würde. Allerdings wurden seine Spekulationen abrupt unterbunden, als Zephir am zentralen Hauptmast eintraf und seine Stimme aus Schnaufs Mastkonsole vernehmbar wurde.
»Jetzt fangen wir an zu lernen«, sagte das Golemsegel.
Auf dem Achterdeck wimmelte es von Reifikationen, die zur Insel zurückblickten, während diese allmählich aus dem Blickfeld verschwand. Über ihnen schnitten Hunderte Quadratmeter doppelter Stagsegel wie Schwerter in den Himmel, und weiter vorn öffneten sich fortlaufend neue Segel in den Wind, als wäre das Schiff eine Blüte, die ins Sonnenlicht gelangt wäre und sich allmählich entfaltete. Viele andere Reifis scheuten, wie John Styx wusste, aus alter Gewohnheit jede Gesellschaft und verfolgten das Spektakel lieber durch die Kabinenfenster – das heißt, so weit sie Kabinen direkt an den Rumpfflanken hatten, die alles in allem an Blocs Leute gegangen waren. Andere interessierten sich, wie John Styx wusste, überhaupt nicht für die eigentliche Fahrt, und hatten sich in ihre Unterkünfte vergraben und dort abgeschaltet, um die Ankunft am Reiseziel abzuwarten. Ihm kam der Gedanke, dass die an Deck offenkundig jene waren, die noch eine gewisse Wertschätzung für das Leben aufbrachten, obschon sie tot waren. Er musterte die Versammlung und studierte die unterschiedlichen Trachten, die unterschiedlichen Formen der Reifizierung, die unterschiedlichen sichtbaren Todeswunden. Dabei war ihm egal, wie sehr er sich allmählich an den Anblick herumlaufender toter Menschen gewöhnte; es war nach wie vor eine makabre Szene.
»Sind wir nicht eine schauerliche Versammlung?«, fragte ein weiblicher Reifi neben ihm. »Und da kommt unser schauerlicher Anführer.«
Styx drehte sich zu ihr um, als sie eine zerfledderte Hand ausstreckte – das Fleisch bis auf die Knochen abgenutzt und an den Fingerspitzen durch gummiartige Polster ersetzt. Forschend nahm er die eigene runzelige Hand in Augenschein, als wäre er sich ihrer Provenienz unsicher, und folgte dann dem Fingerzeig der Frau. Der in seinem langen schwarzen Mantel sofort erkennbare Taylor Bloc kam neben dem Achterdeckshaus auf sie zu, wie üblich Aesop und Bones an den Fersen, diese wiederum heute gefolgt von vier bewaffneten Kladiten. Aus der Achterdeckgruppe trat eine Person vor, die allem Anschein nach zu Lebzeiten nicht voll ausgewachsen war. Der tote junge Mann, dem das strähnige Haar noch an der Kopfhaut klebte, trug eine Kleidung, in der Styx die Mode von Klader vor ein paar Jahrhunderten erkannte.
»Bloc«, begann dieser Reifi, »wir haben einige Beschwerden vorzubringen.«
Auf dieses Stichwort hin meldeten sich die anderen zu Wort. »… verdammte Innenkabinen …« »… haben eine Preisminderung erwartet für …« »… ich sehe nicht ein, wieso es nötig ist …« Alle redeten mit toten, ausdruckslosen Stimmen und unterbrachen sich in einem fort gegenseitig.
Der Wortführer hob eine Hand und wartete, bis die anderen verstummt waren. »Wie Sie hören können, sind wir ein wenig bekümmert über die Behandlung durch Sie. Wir sind vielleicht tot, aber Sie sollten wissen, dass Sie dieser Umstand nicht berechtigt, uns zu bestehlen oder uns als Ihr persönliches Eigentum zu behandeln.«
»Man sollte eigentlich denken, dass der Tod ein geeignetes Heilmittel für Gejammer darstellt, nicht wahr?«, murmelte der weibliche Reifi Styx zu.
Styx legte den Kopf schief und hätte gegrinst, falls ihm das noch möglich gewesen wäre. »Vielleicht liegt es an den ganzen Jahren, in denen man niemanden hat, bei dem man sich beschweren könnte, und den ganzen Jahren einer eigenständigen Existenz.« Er deutete auf den toten Jugendlichen, der sich jetzt in größeren Einzelheiten über die Klagen jener erging, die ihn umstanden. »Wer ist das?«
»Ellanc Strone – kürzlich umgeschwenkte Kladiten sind immer die sauersten. Und wer bist du?«
Styx
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