Die grosse Fahrt der Sable Keech
sich dieses Tier jetzt ins Meer vorgewagt? Dreizehn hielt das für unwahrscheinlich. Also wo steckte es dann? Dreizehn stieg aus dem Wald auf der Insel der Toten auf, ging auf große Höhe, rotierte und blickte über den Ozean hinweg, kippte gen Horizont und flog los.
Auf die Heckreling gelehnt, blickte Santen Marcollian übers Meer. Sie war während der ersten fünfzig Jahre als Reifi eine Kultistin gewesen – nach dem unglücklichen Zwischenfall mit der Granate –, aber nicht mal das Totsein verhinderte, dass man erwachsen wurde. Dieses halbe Jahrhundert lehrte sie viel, und als sie schließlich das Gefühl hatte, dem Kult des Auferstandenen Anubis entwachsen zu sein, stieg sie aus und ging eigene Wege. Deshalb ärgerte sie auch, dass diese Reise von Leuten wie Bloc organisiert wurde, der zwar kein Kultist alten Stils war, wohl aber einige Ideale dieser Leute verfocht. Und seit dieser Szene an ihrem ersten Tag auf dem Schiff fragte sie sich, ob sie nicht einen großen Fehler gemacht hatte.
Blocs bewaffnete Kladiten waren überall, und das bereitete ihr Sorgen. Ja, dieser Planet war wild, aber sie waren hier an Bord eines großen Schiffs unter dem Schutz automatischer Lasergeschütze, mit deren Türmen der Rumpf übersät war. Nichts Schauriges würde an Bord gelangen, also musste sie vielleicht davon ausgesehen, dass das Schaurige schon an Bord war. Sie blickte sich um und sah ein paar weitere Reifis übers Deck schlendern, während sie auf ihre begrenzte Art die Umgebung erlebten. Die Aussicht, wie Sable Keech wieder ins richtige Leben zurückzukehren, hatte Santen hergeführt – die Aussicht, wieder zu fühlen: den Wind auf der Haut, die Bewegung im Innenohr, die Rauheit dieser Metallreling an ihrer Handfläche …
»Wie gefällt dir das Meeresleben?«
Santen drehte sich um und sah, dass der Reifi John Styx an ihre Seite getreten war. Sie betrachtete ihn forschend und fragte sich, was ihn umgebracht hatte, da sein Körper keine sichtbare Verletzung aufwies und er sich für einen Reift überraschend glatt bewegte. Vor ihrer früheren Begegnung an Bord hatte sie ihn schon beim Angriff des Kapuzlers gesehen, als Styx eine batianische Waffe aufhob und auf das Tier schoss, während die übrigen Reifis, Santen eingeschlossen, nur Deckung suchten.
»Es wird mir ein bisschen langweilig«, antwortete sie.
»Nach nur acht Tagen?«
»Ja, nach nur acht Tagen.«
»Vergiss es; ich bin überzeugt, dass sich das bald ändert.«
»Was meinst du damit?«
Styx zuckte die Achseln – für einen Reifi keine leichte Übung. »Hast du Blocs Aufforderung erhalten?«
»Ja.« Santen konsultierte ihre eingebaute Uhr. Die Versammlung begann schon in einer halben Stunde in einem Saal der Bilge, unmittelbar über dem Ruder. Santen fragte sich, wo die Zwischenzeit geblieben war. »Er wird uns wahrscheinlich das Gesetz erläutern. Und ich bezweifle, dass er irgendwelche Konzessionen machen wird, und vielleicht hat er sogar damit Recht.«
»Wird er befehlen, dass wir uns in Formation aufstellen und das Salutieren üben?«, fragte Styx.
»Hoffentlich nicht. Ich habe den Kult des Auferstandenen Anubis schon verlassen und auch nicht vor, seinem illegalen Nachkommen beizutreten.«
Styx nickte. »Anscheinend ist er dabei, uns allen zu jeweils hundert Mann eine Vorlesung zu halten. Zumindest hat man es mir so erzählt, auch wenn die, die schon teilgenommen haben, ziemlich verschlossen sind, was die Abläufe angeht. Seine eigenen Leute benötigen natürlich keine Instruktionen.«
»Es ist Kultscheiße, jede Wette. Selbst wenn er und seine Anhänger angeblich technisch keine Kultisten sind.«
Styx schwieg.
»Weißt du«, fuhr Santen fort, »mir ist heute nur noch schwer verständlich, wie ich all diesen Müll so lange schlucken konnte: Aufgabe des Kultes ist es, uns Identität zu schenken; der Kult vermittelt jedem von uns die Kraft aller … All dieses Zeug eben. Ich habe viel zu lange gebraucht, bis ich endlich erkannte, dass der Kult nur eine Methode war, um seine Anführer reich und mächtig zu machen.«
»Wie eine Religion«, deutete Styx an.
»Wie eine Religion«, pflichtete ihm Santen bei. »Und das hier ist auch nichts anderes. Steigen wir hinunter und sehen mal, was unser Fremdenführer uns zu sagen hat? Es könnte zumindest amüsant sein.«
»Hoffen wir es«, murmelte Styx.
Sie traten ihren Weg übers Deck an.
»Wenigstens brauchen sich die Hooper nicht diesen Mist anzuhören«, bemerkte Santen, während sie einen
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