Die grosse Fahrt der Sable Keech
Mund, schloss sie wieder und wischte Erlin das Kinn ab. Vorläufig reichte es. Als sie die Augen zuschlug und einschlief, entfernte sich Janer.
Da er inzwischen Zeit gehabt hatte, sich umzusehen, wusste er nun, welche Aufgaben ihn und Erlin erwarteten – falls Letztere nicht entschied, Bloc über Bord zu werfen, sobald sie sich erholt hatte. Vier Reihen Kettenglastanks erstreckten sich Hunderte Meter weit in beide Richtungen, jeweils zwei Reihen beiderseits eines breiten Zwischengangs, der durch drei dicke Säulen unterteilt wurde, von denen jede eine Masttreppe enthielt. Das gleiche Arrangement wiederholte sich auf dem Deck darüber. Zu jedem Tank gehörte ein Satz Ausrüstung, ähnlich derjenigen, die sie bei Sable Keech benutzt hatten: ein verchromter Autodok, ein Diagnosegerät, ein Satz Körpersonden mit optischen Verbindungen und ein Stimmengenerator mit einer Auswahl von Verbindungen zu den diversen Arten von Reifikations-Hardware. Rohrleitungen liefen neben den Tanks am Boden entlang und wiesen Verbindungsstücke zu jedem Tank auf. Weitere Leitungen zogen sich an der Decke entlang, wiederum mit Ausläufern zu jedem Tank. Offenkundig dienten sie dazu, die Tanks zu füllen und wieder zu entleeren, aber Janer fragte sich, womit wohl. Für Keech hatten sie Meerwasser als Fruchtwasser benutzt. Es enthielt Mikroben, die so robust waren wie alle anderen Lebensformen Spatterjays, und somit hatte sich die Sterilisierung als Albtraum erwiesen. Man fand hier auch Tragen und Rollbetten – zweifellos dazu gedacht, die halb toten, halb lebendigen Reifis nach ihrer religiösen Erfahrung auf dem Kleinen Flint hereinzubringen, und man fand Haltetische ähnlich dem, den Erlin derzeit belegte, um dort Reifis festzuschnallen, die wie Keech damals auch in einen Konflikt mit den eigenen Kybermotoren gerieten.
Janer wandte sich von neuem Erlin zu und fragte sich, wie lange er mit der nächsten Injektion warten sollte. Er betrachtete die Frau eine Zeit lang und unternahm einen Abendspaziergang ums Deckhaus, während die Sonne unterging. Als Nächstes nahm er die Treppe zu den Mannschaftsunterkünften achtern, holte sich in der Kombüse etwas zu essen, schwatzte eine Zeit lang mit einigen gelangweilten Hoopern, die in der Messe herumsaßen, und kehrte anschließend zu den Tankräumen zurück, um dort auf dem Tisch neben Erlin zu übernachten. Am Morgen verabreichte er ihr weiteres Intertox. Am wiederum nächsten Tag versuchte sie zu reden, aber die Zunge kam ihr dabei immer noch in die Quere. Das Ding schien jedoch zu schrumpfen, und Erlins Hautfarbe war nicht mehr ganz so blau. Eine weitere Nacht und der größte Teil des Folgetags vergingen, ehe er es riskierte, sie loszubinden.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte Erlin, als sie mit unsicheren Schritten das Hauptdeck zur Backbordreling überquerte. Das Meer breitete sich endlos vor ihnen aus und zeigte die dunkelgrüne Farbe von Lorbeer; nirgendwo war eine Insel zu sehen, aber Webeleinen und Stagkabel unterteilten das Blickfeld. Erlin musterte einige Reifikationen, die ein kleines Stück weit entfernt standen, und ließ den Blick dann forschend über das Schiff schweifen, ehe sie sich umdrehte und in den Wald aus Masten, Spieren, Kabeln und Stoffsegeln hinaufblickte, in dem die drei intelligenten Segel lauerten, zwei davon lebendig, während dies im dritten Fall strittig war. »Bastarde!«, setzte sie hinzu.
»Das ist die Sable Keech«, antwortete Janer. »Ich habe freiwillig angeheuert. Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du nicht aus freien Stücken hier?«
»Verdammt richtig – das bin ich nicht, obwohl mir die Alternative schlechter bekommen wäre.« Sie blickte auf einmal unbehaglich drein und setzte hinzu: »Zumindest würde jede Person so denken, die bei Verstand ist.«
Janer sah sie fragend an und fragte sich dann, ob er die Fesseln nicht zu früh gelöst hatte, als sie fortfuhr und ihm ihre beinahe tödliche Begegnung mit einer Riesenwellhornschnecke schilderte.
»Warum bist du nicht bei Ambel?«
»Ich brauchte eine Pause«, war alles, was sie darauf sagen mochte, ehe sie die Frage nachlegte: »Worum geht es hier eigentlich?«
»Du bist an Bord eines Schiffs voller Reifikationen, das unterwegs zum Kleinen Flint ist – gewissermaßen eine Pilgerfahrt in den Fußstapfen von Keech.« Janer deutete mit dem Daumen über die Schulter Richtung Tankraum. »Ich denke, du kannst dir an fünf Fingern abzählen, was passiert, sobald wir den Zielort erreicht
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