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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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sollst du dein Brot essen.« Wieder seufzte er, dann aber gerieten die Runzeln in seinem Gesicht in Bewegung, und er lächelte. »Es kam, wie ich prophezeit hatte: Mein Sohn ward uns ein Trost und eine große Hilfe. Die Weinstöcke trugen Reben. Die Herden gediehen und vermehrten sich. Aber bald machte der Reichtum ihn stolz. Und nun bin ich einsam in meinen alten Tagen.«
    Das Mammut trottete aus dem Zelt, bettete seinen Kopf in Lamechs Schoß.
    »Die Frauen versichern mir stets aufs neue, daß ich im Zelt meines Sohnes willkommen sei. Aber ich will hier bleiben. Hier, wo er geboren wurde, hier, wo seine Mutter starb. Daß ich nicht Weggehen möchte, ist doch kein Grund für ihn, mich zu meiden. Nein, er ist starrköpfig. Was würde wohl er tun, wenn sein Sohn das Zelt des Vaters für sich haben wollte?«
    »Will er denn dein Zelt?«
    »Meine Brunnen sind die tiefsten und ergiebigsten in der Oase. Ich gab ihm stets das Wasser, das er für seine Weingärten braucht. Aber ihn stört, daß er es sich eigens holen muß. Wie schlimm! Nein, ich bleibe in meinem Zelt. Hier fühle ich mich wohl!«
    »Vielleicht ist dein Sohn so verstockt, weil sein Vater so verstockt ist?« gab Sandy zu bedenken.
    Der Alte lächelte zögernd. »Schon möglich.«
    »Da er nicht zu dir kommt, warum gehst nicht du zu ihm?«
    »Für einen alten Mann ist das ein weiter Weg. Ich schenkte meinem Sohn alle Kamele und anderen Haustiere und behielt nur den Hain und den Garten.« Lamech tätschelte Sandys Knie. »Ich hoffe, du verläßt mich nicht gleich, wenn du wieder gesund bist. Es ist angenehm, mit jemandem das Zelt zu teilen.«
    Higgaion stubste den Alten vorwurfsvoll.
    Lamech lachte. »Mein lieber Higgaion, du bist ein Mammut. Und so sehr ich dich schätze, sehne ich mich doch in meinen verbleibenden Tagen nach menschlicher Gesellschaft.«
    »In deinen verbleibenden Tagen?« fragte Sandy.
    »Ich bin nicht so alt wie mein Vater Methuselach, aber älter als sein Vater Enoch. Ah, mein Großvater, der war ein seltsamer Mann. Er wandelte mit El und verließ uns. Und er war jünger als ich. El gebot mir, meine Tage zu zählen.«
    Sandy fühlte sich sehr unbehaglich. »Großvater Lamech, willst du mir einreden, daß dir jemand den Tod angekündigt hat?«
    Lamech nickte. »El.«
    »Welcher El?«
    »El. Die Zeiten sind verderbt. Die Bosheit der Menschen ist groß, das Trachten ihres Herzens ist böse geworden. Da ist es gut, wenn ich im Stillen scheide. Ich wäre nun siebenhundert Jahre und siebzig und sieben…«
    »He, Augenblick«, warf Sandy ein. »Niemand lebt so lang. Ich meine: dort, wo ich herkomme.«
    Lamech spitzte die Lippen. »Wir haben unsere langen Jahre nicht weise genützt.«
    Auf einmal war das Licht der Sterne kalt. Sandy fröstelte. Wieder berührte Lamechs Hand sein Knie. »Keine Angst, ich werde dich nicht verlassen, ehe du ganz gesund und mit deinem Bruder vereint bist – und ihr selbst für euch sorgen und in eure Heimat zurückkehren könnt.«
    »Unsere Heimat«, sagte Sandy leise und starrte in den Himmel. »Ich weiß nicht, wo sie liegt. Ich weiß nicht, wie wir hierher gekommen sind und wie wir jemals zurückkehren sollen.«
    Higgaion hob den Rüssel ans Ohr, und Sandy sah, daß der Skarabäus sich dort eingenistet hatte. So unmöglich und unlogisch das auch war, versuchte Sandy sich mit der Vorstellung abzufinden, daß aus diesem Käfer von Zeit zu Zeit der wunderbare Seraph Adnarel wurde.
    Lamech lächelte nachdenklich. »Japheth fragte mich, wohin ich nach meinem Tod gehe.« Selbst im fahlen Abglanz der Sterne schimmerten seine Schädelknochen durch das spärliche Haar. »Ich hoffte, mein Großvater Enoch werde zurückkommen oder mir eine Botschaft senden. Nun hoffe ich nur noch, daß mein Sohn seine Starrköpfigkeit für das kleine Weilchen überwinden wird, die es braucht, meinen Leib in die Erde zu betten.«
    Higgaion rieb sich zärtlich an ihm, und der Alte lachte. »Wer weiß, vielleicht komme ich, wie die Wüstenblumen, im Frühjahr wieder. Wir wissen so wenig von diesen Dingen. Aber wenn man hunderte von Jahren gelebt hat, sehnt man sich nach Ruhe.«
    Das Mammut stakste zu Sandy hinüber, legte ihm, wie ein Hund, die Vorderpfoten aufs Knie, streichelte ihm mit der Rüsselspitze vorsichtig über die Wange. Sandy verstand. »Großvater Lamech, ich glaube, ich sollte zurück ins Zelt. Es wird kalt.«
    Lamech schaute zuerst Sandy, dann das Mammut an, nickte. »Ja. Fürs erste warst du lang genug im Freien.«
    Sandy war

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