Die große Volksverarsche
ja jederzeit abziehen.
Seit zwei, drei Jahren rücken Kundenzufriedenheit, Menschlichkeit und Vertrauen wieder ins Marketing-Blickfeld der Finanzindustrie. Statt mit Zahlen und materiellen Werten wirbt sie nun verstärkt mit Emotionen: »Unterm Strich zähl ich«, »Die Bank, die Ihre Sprache spricht«, »Versichern heißt verstehen«, »Du kaufst keinen Bausparvertrag, sondern den wichtigsten Ort der Welt« ... Das hängt aber bestimmt nicht mit einem schlechten Gewissen angesichts des extremen Vertrauensverlusts zusammen, den die Branche infolge der Lehman-Pleite zu spüren bekommen hat.
»Banken sind gefährlicher als stehende Armeen.«
Thomas Jefferson (1743–1826),
US-amerikanischer Präsident (1801–1809)
EXKURS:
Mandy hat in Kreuzberg eine leider nicht sehr erfolgreiche Kneipe, den »Blauen Papagei«. Ihre Kundschaft besteht hauptsächlich aus alkoholkranken Hartz-IV-Empfängern. Eines Tages beschließt Mandy, allen Stammkunden einen »Deckel« zu gewähren, mit anderen Worten: Kredit. Der Umsatz steigt. Mandy erhöht die Bier- und Schnapspreise. Dank des Deckels kein Problem. Der Umsatz steigt weiter. Der Kundenberater ihrer Bank bemerkt, dass der »Blaue Papagei« interessante Zahlen schreibt. Er bietet Mandy eine extrem großzügige Kreditlinie an. Durch die Schulden der Trinker ist der Kredit mehr als gedeckt. Zur Refinanzierung – eine Bank muss ihr Geld ja auch irgendwo herkriegen – verwandeln die Investmentbanker des Geldinstitutes die Schulden auf den Bierdeckeln in sogenannte Schuldverschreibungen.
Sie heißen »Alkbond«, »Suffbond« und »Kotzbond«, unter der Sammelbezeichnung »SPA Super prima Anleihen« kommen sie auf den Geldmarkt. Vorher werden sie, damit alles seriös ist, bei einer philippinischen Online-Versicherung gegen Verlust versichert, das geht per E-Mail. Rating-Agenturen geben SPA die Bewertung »AAA +++«. Worauf genau diese Wertpapiere beruhen, weiß bald keiner mehr, aber die Kurse steigen. SPA ist ein
Hit, internationale Investoren steigen ein. Vorstände und Investmentspezialisten der Bank genehmigen sich Boni in Millionenhöhe.
Eines Tages kommt ein Risk Manager der Bank auf die Idee, dass man langsam mal die ältesten Deckel von Mandys Kundschaft abkassieren könnte, auf Bankdeutsch heißt das »fällig stellen«. Die Schulden der Trinker betragen mittlerweile ein Vielfaches ihrer Jahreseinkommen. Es kommt nicht zu nennenswerten Tilgungen. Alle sehen jetzt sehr erschrocken aus. E-Mails an die Versicherung werden nicht beantwortet.
»Suffbond«, »Alkbond« und »Kotzbond« verlieren 98 Prozent ihres Wertes. Der »Blaue Papagei« geht in die Insolvenz. Mandys Lieferanten hatten sich zum Teil, und gerne, mit den im Kurs ständig steigenden SPA-Anleihen bezahlen lassen. Der Wein- und der Schnapslieferant gehen ebenfalls in Konkurs. Wegen der besonderen Bedeutung der Bierindustrie wird der Bierlieferant vom Staat teilweise entschuldet und von einer belgischen Investorengruppe übernommen. Die Bank wird vom Staat mit Hilfe von Steuergeldern gerettet. Der Bankvorstand verzichtet für das laufende Geschäftsjahr auf seinen Bonus. Der Risk Manager wird entlassen. 10
Diesen im Internet kursierenden Text verwendet Harald Martenstein zur Beschreibung der Finanzkrise.
Es geht den Banken also darum, dem Zeitgeist zu entsprechen, und so versucht man jetzt, mit Authentizität und Glaubwürdigkeit zu punkten. Es geht aber auch darum, die teils horrenden Kosten der jeweiligen Bank in den Griff zu bekommen; denn je mehr Kunden, desto günstiger verteilen sich die Kosten für IT-Anlage, Papier etc. Und mit (vermeintlicher) Kundenzufriedenheit und Menschlichkeit lässt sich nun mal trefflich um neues Vertrauen, sprich neue Kunden werben. So zaubern die Banken alle Nase lang flotte Testsiege hervor: »Deutschlands beliebteste Bank« (weil sie die angenehmsten Stimmen im Callcenter sitzen hat?); »Beste Bank« (weil man dort den leckersten Espresso serviert bekommt?); »Fairste Bank« (weil sie nicht mit Grundnahrungsmitteln spekuliert?) ... Die Kriterien solcher Tests spielen
bei dieser Werbestrategie jedenfalls keine Rolle. Hauptsache Sieger. Doch wie sieht es bei all diesen Siegern intern aus mit »Kulturwandel« und »Systemrevolution«?
Nach Ackermanns Victory-Zeichen und dessen Abgang wirbt die Deutsche Bank neuerdings mit Bescheidenheit und einem angeblich ganz neuen Führungsstil. Interessant nur, wie sich diese Bescheidenheit Ende 2012 äußerte: Das große
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