Die große Volksverarsche
Wem der Quotenwahn der Free-TV-Sender und das daraus resultierende massenkompatible Programmangebot auf die Nerven geht, der kann sich bei den Pay-TV-Sendern über ein zwar verwirrend umfangreiches, aber werbefreies und qualitativ hochwertiges TV-Angebot freuen. Dort läuft alles, was dem Quotendruck nicht standhalten würde: National Geographic TV, TNT, BBC, History, Biography, Comedy Central etc. sowie fast alle Kultserien aus den USA.
Klar ist: Ohne Werbung wäre unser TV-Programm für den Zuschauer unbezahlbar. Gefährlich wird es allerdings dann, wenn nicht die Werbung das Programm ermöglicht, sondern das Programm die Werbung. Wenn Werbeeinnahmen dazu verwendet werden, »Doctor’s Diary«, »Danni Lowinski«, »Tagesschau«, »Tatort«, und »Hotel Adlon«, »Die Heute-Show« oder »Unsere Mütter, unsere Väter« zu finanzieren – wunderbar. Aber warum muss ein Tross von 500 Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Sender nach Südafrika reisen, um über die Fußball-WM zu berichten? Immerhin schafft die BBC dasselbe mit einem Zehntel (!) dieser Manpower! Und muss ProSiebenSat.1 wirklich alle ambitionierteren Sendungen kaputtsparen, um regelmäßig Rekordrenditen
an den Eigentümer-Hedgefonds zu überweisen? Die RTL-Gruppe erzielt jährlich Milliardenumsätze – und hat sich doch weitestgehend aus der Produktion von TV-Filmen zurückgezogen, weil sie angeblich nicht so rentabel sind wie Shows und Billigserien.
Trotzdem schwärmen sämtliche deutschen TV-Macher und Manager immer mit verklärtem Blick von HBO, Showtime und anderen US-Anbietern, die hochwertigste Programme produzieren, auch wenn die mal kein Quoten-Hit sind, sondern zunächst »nur« imageträchtig ein Nischenpublikum bedienen. Dass deutsche Serien mit der US-Konkurrenz nicht mithalten können, wird dann immer mit dem Totschlagargument begründet, die Amis hätten eben viel mehr Geld, was nachweislich Unsinn ist. Serien wie »The Big Bang Theory«, »Modern Family« oder »Girls« von HBO (Golden Globe 2013) kosten in etwa dasselbe wie vergleichbare deutsche Produktionen. Teurer sind US-Serien nur »above the line«, das heißt, wenn Stars wie Jeff Daniels in »Newsroom«, Claire Danes in »Homeland« oder Kevin Spacey in »House of Cards« mitspielen, oder wenn beispielsweise ein Starregisseur wie David Fincher (»House of Cards«) oder Martin Scorsese (»Boardwalk Empire«) inszenieren und produzieren. »Below the line«, also hinsichtlich der reinen Herstellungskosten liegen amerikanische und deutsche Serienbudgets nicht weit auseinander. Ein entscheidender Unterschied aber besteht darin, dass beim US-TV insgesamt professioneller und somit schneller und (kosten-)effizienter gedreht wird. Das gilt natürlich nicht für Serien wie seinerzeit »24« und andere Action-Formate, doch an die trauen wir uns in Europa sowieso nicht heran.
»Aus Werbesicht«, so ein Werbezeitenvermarkter der RTL-Gruppe, »erfüllt das Programm nur eine Transportfunktion. Letztlich ist eine Kontaktleistung herzustellen.« 22 Und da die Privaten (tagsüber auch die öffentlich-rechtlichen) nun mal mit Werbung
und nicht mit Sendung Geld verdienen, stopft man so viel Pampers, Parship und Pizza zwischen Serien, Soaps und Spielfilme wie möglich. Dazu werden auch schon mal die EU-Richtlinien, welche die Anzahl der Werbeminuten und -unterbrechungen festlegen, kreativ ausgelegt – oder einfach an der Spielfilmlänge herummanipuliert, bis 110 Minuten und damit drei Werbeunterbrechungen zusammengekommen sind. Trick 1: Wiederhole nach der Werbeinsel die letzten drei Minuten des vorherigen Filmblocks. Trick 2: Lasse den Spielfilm langsamer laufen.
Um sich der Werbeeinnahmen möglichst sicher zu sein, wollen die Sender aber nicht nur den Zuschauer per Quote über Wohl und Wehe entscheiden lassen. Da holt man die Werbetreibenden doch lieber gleich mit ins Programmboot: Jeder Privatsender veranstaltet einmal im Jahr eine sogenannte Programmpräsentation, zu der er die Werbetreibenden, sprich die Vertreter von Werbeagenturen und Werbeabteilungen, einlädt. Wie bei einer Werbeveranstaltung werden den Damen und Herren nun alle neuen Formate und Soaps vorgestellt, gerne im Beisein der Hauptdarsteller als Zugpferde und Jahrmarktsattraktion. Und dann entscheiden die Werber, ob und wo sie Werbung platzieren würden. Wenn nötig, helfen die Werbezeitenvermarkter auch mal mit Rabattangeboten nach. 23 Auf diese Weise greifen Nestlé, Henkel, Boehringer Ingelheim Pharma & Konsorten
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