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Die große Volksverarsche

Die große Volksverarsche

Titel: Die große Volksverarsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Jaenicke
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gehört. Bei meiner Recherche erfuhr ich, dass das deutsche Unternehmen »Altana Pharma AG« bereits seit Jahren ein Tierversuchslabor in Barsbüttel betrieb und dass dieses Labor nun noch vergrößert werden sollte, um dort mögliche toxikologische Nebenwirkungen von medizinischen Substanzen an Tieren zu testen.

    Ich suchte nach Wellen einer Protestbewegung, fand aber nur eine kleine Bürgerinitiative, die sich wie David gegen Goliath zum Kampf gegen den Pharma- und Chemiekonzern formiert hatte. Und ich hörte von einem ersten Treffen: Um die erforderliche Änderung des Bebauungsplanes zu verhindern, hatte die Gemeinde Barsbüttel zu einer Einwohnerversammlung geladen.
    Aus Neugier und Solidarität mit den Widerständlern fuhr ich hin und war erstaunt, dass in den ersten Reihen keine Volksvertreter, sondern Altana-Mitarbeiter saßen, die jede Bürgeranfrage durch störende Zwischenrufe oder lautes Gelächter sabotierten. Auch der Rest war eine Farce. Mögliche Diskussionen wurden im Keim erstickt. Der damalige Bürgermeister schien deutlich aufseiten des Gewerbesteuer zahlenden Pharmakonzerns zu sein. Denn als Versammlungsleiter ließ er auffallend oft Altana zu Wort kommen. So schilderte der Laborchef sehr beschönigend, wie eine toxikologische Untersuchung an Beagles angeblich durchgeführt wird. Dabei verschwieg er jedoch wichtige Fakten: Die weitverbreitete »akute Toxizitätsstudie« wird von unabhängigen Veterinärmedizinern als unwissenschaftlich, ungenau und extrem grausam beurteilt. Alle Versuchstiere müssen sterben – entweder infolge des qualvollen Experiments oder zu einem Zeitpunkt X durch bewusste Tötung, um die Organe auf Veränderungen zu untersuchen. Ich fand, dass die Menschen auch darüber informiert sein sollten. Deshalb fasste ich einen spontanen Entschluss: Wir demonstrieren!
    Im Bündnis mit der Bürgerinitiative, den »Ärzten gegen Tierversuche« und kleineren Tierschutzorganisationen hatten wir uns am 2. November 2002 auf einem Schulhof versammelt, um gegen die »Erweiterung der Tierversuchsanlage der Firma Altana« zu protestieren. Rund 300 Zweibeiner und viele Vierbeiner formierten sich zu einem amateurhaften, aber friedlichen Marsch. Lautstark skandierten wir die Sprüche auf unseren Plakaten: »Altana raus«, »Stoppt sinnloses Tierleid«, »Qualtana ein Ende«. Der Lärm unseres Protests stand in auffälligem Kontrast zum Schweigen des Ortes. Eine fast gespenstische Atmosphäre lag über Willinghusen und drohte, unsere Euphorie kurz vor dem Ziel auszubremsen. Doch als wir die Tierversuchsanlage fast erreicht hatten, gesellten sich plötzlich immer mehr Tierschützer und prominente Tierfreunde dazu. Und am Eingang des Versuchslabors wartete bereits die Presse auf uns. Ein Etappenziel war erreicht. Altana und sein Labor rückte aus der Anonymität in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

    Umso heftiger traf uns der Schlag der Realität: Trotz aller Widerstände von Bürgern und Tierschützern kam der Neubau. Die Gemeindevertreter hatten der Änderung des Bebauungsplanes zugestimmt. Die Anwohner indes, deren Grundstücke an das Tierversuchsgelände grenzten, mussten ihren Kindern erklären, was hinter den Toren ihrer »Nachbarn« vor sich geht, woher das jämmerliche Winseln kommt, das bei ungünstiger Windrichtung zu hören ist. Und sie mussten damit leben, wegen ihrer »wirtschaftsfeindlichen« Haltung von Pharmasympathisanten bedroht zu werden. Dennoch hielten sie mit einem Schilderwald in ihren Vorgärten den Widerstand gegen Altana am Leben. Vergeblich. Die Bagger rückten an, und Stein für Stein entstand vor ihren Häusern das riesige Laborgebäude.
    Die Schilder in den Vorgärten blieben. Und jedes Jahr wiederholten sich die Demonstrationen und Mahnwachen vor Altana. 2007 schließlich wurde Altana von dem Pharmakonzern Nycomed Group übernommen. Die Tierversuche in Willinghusen gingen weiter. Ein Jahr später schaltete sich die Tierrechtsorganisation PETA ein und erstattete Strafanzeige gegen die Altana Pharma AG, wobei sie der zuständigen Staatsanwaltschaft vertrauliche Dokumente über toxikologische Tierversuche zuspielte. Diese belegten »erhebliche Fehler in den Versuchsabläufen« und brachten »fragwürdige Methoden hinter den Experimenten« zutage. Doch die Versuche wurden als »nicht genehmigungs-, sondern nur anzeigepflichtig« eingestuft. [Zu einer Verurteilung kam es nicht, nicht einmal zu einer Anklageerhebung.]
    Seither steigt die Zahl der Tierversuche in

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