Die große Zukunft des Buches
war.
U. E.: Trotzdem hätte etwa Champollion seine Arbeit nicht machen können, wenn er sich nur auf den Stein von Rosetta gestützt hätte; er brauchte ebenso die Reproduktionen, die Kircher veröffentlicht hatte. 1992 habe ich meinen Kurs am Collège de France über die Suche nach der vollkommenen Sprache gehalten, und eine Sitzung war Athanasius Kircherund seiner Deutung der Hieroglyphen gewidmet. An jenem Tag sagte der Hausmeister zu mir: »Herr Professor, passen Sie auf. Sämtliche Ägyptologen der Sorbonne sind im Saal, gleich in der ersten Reihe.« Ich sagte mir, ich sei verloren. Doch war ich vorsichtig und äußerte mich nicht über die Hieroglyphen, sondern nur über Kirchers Positionen. Damals wurde mir klar, dass die Ägyptologen sich nie mit Kircher beschäftigt hatten (von dem sie nur als einem Verrückten gehört hatten); sie haben sich sehr gut unterhalten. Bei der Gelegenheit habe ich Bekanntschaft mit dem Ägyptologen Jean Yoyotte gemacht, der mir eine unschätzbare Bibliographie zum Verlust und zur Wiederfindung des Schlüssels zur Entzifferung der Hieroglyphen übermittelt hat. Das Aussterben einer Sprache wie der Sprache der alten Ägypter interessiert uns natürlich in dem Augenblick, in dem wir neue Gefahren für das universale Kulturerbe heraufziehen sehen.
J.-C. C.: Kircher ist auch der erste, der eine Art Enzyklopädie über China veröffentlichte, China monumentis illustrata .
U. E.: Er war der erste, der bemerkte, dass die chinesischen Ideogramme bildlichen Ursprungs waren.
J.-C. C.: Ohne sein bewunderungswürdiges Ars magna lucis et umbrae zu vergessen, wo man die erste Darstellung eines Auges findet, das durch eine sich drehende Scheibe bewegliche Bilder betrachtet, was ihn theoretisch zum Erfinder des Kinos macht. Man sagt übrigens, er habe den Gebrauch der Laterna magica in Europa eingeführt. Er muss sich also mit sämtlichen Wissensbereichen seiner Zeit befasst haben. Man könnte Kircher als eine Art Internet avant la lettre bezeichnen,das heißt, er wusste alles, was man damals wissen konnte, und in diesem Wissen waren 50 Prozent richtig und 50 Prozent falsch oder Phantasie. Ein Verhältnis, das sich vielleicht dem annähert, was wir an Auskünften auf unseren Bildschirmen bekommen. Trotzdem sei noch erwähnt – und auch deswegen lieben wir ihn –, dass er sich ein Katzenorchester ausgemalt hat (man musste sie nur an den Schwänzen ziehen) und eine Maschine zur Reinigung von Vulkanen. Eine Armee von kleinen Jesuiten musste ihn in einem großen Korb mitten in die Dämpfe des Vesuv hinunterlassen.
Vor allem aber ist Kircher bei den Sammlern begehrt, weil seine Werke von außergewöhnlicher Schönheit sind. Ich glaube, wir sind beide Liebhaber Kirchers oder doch wenigstens seiner so großartig verlegten Werke. Mir fehlt nur ein einziges, aber zweifellos eines der wichtigsten, der Oedipus aegyptiacus . Er gilt als eines der schönsten Bücher der Welt.
U. E.: Das außergewöhnlichste Buch ist für mich die Arca Noë mit einem mehrfach eingefalteten Stich, der den Querschnitt durch die Arche zeigt, mit sämtlichen Tieren, einschließlich der Schlangen, die sich ganz unten im Schiffsraum verstecken.
J.-C. C.: Und die großartige Tafel der Sintflut. Nicht zu vergessen die Turris Babel . Ausgehend von wissenschaftlichen Berechnungen weist er darin nach, dass der Turm von Babel nicht vollendet werden konnte, denn wäre das verhängnisvollerweise geglückt, hätte sich aufgrund seiner Höhe und seines Gewichts die Erdachse gedreht.
U. E.: Man sieht das Bild der Erde, die sich gedreht hat, und den Turm, der horizontal daraus hervorragt, wie ein männliches Glied. Genial! Ich besitze auch die Werke von Caspar Schott, einem Schüler Kirchers, ebenfalls deutscher Jesuit, aber ich will hier keine Zurschaustellung meiner Besitztümer betreiben. Die Frage, die wir uns stellen können, ist die nach den Motiven, die einen Sammler zu diesem oder jenem Gegenstand der Bibliophilie lenken. Warum sammeln wir beide die Werke Kirchers? Es gibt mehrere Erwägungen, die bei der Wahl eines alten Werks eine Rolle spielen. Es kann die pure Liebe zum Objekt Buch sein. Es gibt Sammler, die ein Werk des 19. Jahrhunderts mit unaufgeschnittenen Seiten besitzen und um nichts in der Welt bereit wären, sie aufzuschneiden. Ihnen geht es darum, das Objekt als solches zu schützen, es intakt, jungfräulich zu bewahren. Es gibt auch Sammler, die sich nur für die Bindung interessieren.
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