Die große Zukunft des Buches
erworbene Exemplar zu begutachten, und er ist etwas enttäuscht, feststellen zu müssen, dass das Buch in sich nichts so Besonderes bietet, wie er sich aber erwartet hatte. Er dreht und wendet es nach allen Seiten, sucht nach dem seltenen Detail, dem Einmaligen, dann legt er es neben sich hin. Bei der Ankunft in Brasilien vergisst er es im Flugzeug. Er hat das Objekt erworben, aber dadurch hatte es mit einem Schlag alle Wichtigkeit verloren. Wie durch ein kleines Wunder hat das Flugpersonal der Air France das Buch bemerkt und beiseite gelegt. Mindlin hat es wiederbekommen. Er sagte, dass ihn das am Ende völlig kaltgelassen habe. Und ich kann das bestätigen: An dem Tag, als ich mich von einem Teil meiner Bibliothek trennen musste, habe ich darüber keinen besonderen Schmerz empfunden.
U. E.: Ich kenne diese Erfahrung auch. Der wahre Sammler hat mehr Interesse an der Suche als am Besitz, wie der wahre Jäger zunächst an der Jagd interessiert ist und nicht unbedingt an der anschließenden kulinarischen Zubereitung und dem Verzehr der Tiere, die er erlegt hat. Ich kenne Sammler (und bedenken Sie, dass alles gesammelt wird, Briefmarken, Postkarten, Champagnerkorken), die ihr ganzes Leben damit zubringen, eine vollständige Sammlung anzulegen, unddie diese, ist sie dann komplett, verkaufen oder einer Bibliothek oder einem Museum schenken …
J.-C. C.: Ich erhalte wie Sie eine sehr große Zahl an Katalogen von Buchhändlern. Die meisten sind Kataloge von Buchkatalogen. »Books on books« , wie man das nennt. Es gibt Versteigerungen, wo ausschließlich Buchhändlerkataloge verkauft werden. Einige stammen aus dem 18. Jahrhundert.
U. E.: Ich bin gezwungen, diese Kataloge abzustoßen, die oft wahre Kunstwerke sind. Aber der Platz für ein Buch hat auch seinen Preis, wir kommen darauf noch zurück. Gegenwärtig bringe ich alle Kataloge in die Universität, wo ich einen Masterkurs für angehende Verleger leite. Da gibt es natürlich eine Veranstaltung zur Geschichte des Buches. Ich behalte nur einige wenige, weil sie Themen betreffen, die mir am Herzen liegen, oder weil sie verflixt schön sind. Bestimmte dieser Kataloge sind nicht für echte Bibliophile gedacht, sondern für Neureiche, die in alte Bücher investieren wollen. In diesen Fällen erinnern sie eher an Kunstbände. Würden sie nicht gratis verschickt, würden sie ein Vermögen kosten.
J.-P. DE T.: Ich kann mir nicht versagen, Sie zu fragen, was derartige Inkunabeln kosten. Macht die Tatsache, dass Sie solche besitzen, Sie zu wohlhabenden Leuten?
U. E.: Das hängt davon ab. Es gibt Inkunabeln, die heute Millionen Euro kosten, und andere, die Sie für ein paar hundert Euro kaufen können. Die Lust des Sammlers besteht auch darin, das äußerst seltene Werk zu finden und nur dieHälfte oder ein Viertel seines Preises zu bezahlen. Auch wenn das immer seltener wird, weil der Markt schrumpft wie eine Eselshaut, ist es doch nicht völlig unmöglich, ein paar gute Geschäfte zu machen. Manchmal kann ein Bibliophiler sogar bei einem als sehr teuer geltenden Antiquar günstige Käufe tätigen. Ein lateinisches Buch, selbst ein ziemlich seltenes, wird die Sammler in Amerika nicht interessieren, weil sie keine Fremdsprachen lesen, schon gar nicht Latein; umso weniger, wenn man den Text in den großen Universitätsbibliotheken finden kann. Was sie hingegen geradezu manisch interessiert, ist zum Beispiel eine Erstausgabe von Mark Twain (egal zu welchem Preis). Bei Kraus in New York, einem Antiquar mit großer Tradition (der leider vor einigen Jahren aufgehört hat), habe ich einmal das De harmonia mundi von Francesco Giorgi gefunden, ein wunderbares Buch, gedruckt 1525. Ich hatte in Mailand ein Exemplar davon gesehen, fand es aber doch zu teuer. Weil die großen Universitätsbibliotheken es bereits hatten und weil für den gewöhnlichen amerikanischen Sammler ein Buch auf Latein von keinem Interesse ist, habe ich es bei Kraus für ein Fünftel des in Mailand verlangten Preises erworben.
In Deutschland habe ich einmal ein gutes Geschäft gemacht. In einem Auktionskatalog mit Tausenden, in Sektionen eingeteilten Büchern sah ich fast zufällig auf die Liste der Werke unter der Rubrik »Theologie«. Plötzlich entdeckte ich einen Titel, Offenbarung göttlicher Mayestät von Aloysius Gutman. Gutman, Gutman … der Name sagte mir etwas. Ich recherchierte kurz und entdeckte, dass Gutman als der Initiator sämtlicher Rosenkreuzerschriften gilt, aber dass sein
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