Die große Zukunft des Buches
Beruf dahin. Mehrere Buchhändler in meinem Bekanntenkreis sagen, in der jüngeren Generation gebe es immer weniger wirkliche Buchliebhaber.
U. E.: Man muss daran erinnern, dass alte Bücher zwangsläufig Objekte sind, die im Verschwinden begriffen sind. Wenn ein sehr seltenes Schmuckstück in meinem Besitz ist oder sogar ein Raphael, verkauft meine Familie die nach meinem Tod. Aber wenn ich eine gute Büchersammlung habe, lege ich im allgemeinen in meinem Testament fest, dass sie nicht verstreut werden soll, weil ich mein ganzes Leben mit ihrem Aufbau zugebracht habe. Also wird sie entweder einer öffentlichen Einrichtung geschenkt oder sie wird über die Vermittlung von Christie’s von einer großen, meist einer amerikanischen Bibliothek angekauft.
All diese Bücher verschwinden dann für immer vom Markt. Ein Diamant kommt immer wieder auf den Markt,jedesmal, wenn sein letzter Besitzer stirbt. Aber die Inkunabel, sie wird nur noch im Katalog der Bibliothek von Boston angeführt.
J.-C. C.: Und kommt nicht mehr heraus.
U. E.: Nie mehr. Abgesehen von den Schäden, die die sogenannten Investoren anrichten, werden die Exemplare eines alten Buches immer seltener, also zwangsläufig immer teurer. Was die jüngere Generation betrifft, so glaube ich nicht, dass ihr der Geschmack an seltenen Büchern verlorengegangen ist. Ich frage mich vielmehr, ob er je existiert hat, denn die Preise für alte Bücher haben seit jeher die finanziellen Möglichkeiten junger Leute überstiegen. Aber man muss auch sagen, wenn jemand wirklich leidenschaftlich begeistert ist, kann er auch Sammler werden, ohne allzu viel auszugeben. Ich habe in meinen Regalen zwei Aristoteles aus dem 16. Jahrhundert wiedergefunden, die ich in meiner Jugend aus Neugier gekauft habe und die mich (nach dem vom Buchhändler mit Bleistift auf dem Titel verzeichneten Preis zu urteilen) so etwas wie zwei Euro von heute gekostet haben. Vom Standpunkt eines Antiquars aus betrachtet, ist das natürlich nicht weiter erheblich.
Ich habe einen Freund, der ist Sammler der kleinen Bände der Biblioteca Universale Rizzoli , der bur, dem Pendant zur Reclam Universal Bibliothek in Deutschland. Das sind Bücher, die in den fünfziger Jahren erschienen und rar geworden sind; aufgrund ihres sehr bescheidenen Aussehens und weil sie fast nichts kosteten, dachte niemand daran, sie sorgfältig aufzubewahren. Dennoch, die Reihe komplett wieder zusammenzustellen (das sind an die tausend Titel) ist ein spannendes Unterfangen, das nicht viel Geld erfordert, undman braucht auch nicht in luxuriöse Antiquariate zu gehen, sondern muss Flohmärkte abgrasen (oder heute eBay). Man kann zu günstigen Preisen bibliophil sein. Ich habe einen anderen Freund, der sammelt bescheidene ältere Ausgaben (nicht zwangsläufig Originalausgaben) von Lyrik, die er liebt, weil, wie er mir sagt, die Lektüre eines Gedichts in einer zeitgenössischen Ausgabe einen anderen »Geschmack« hat.
Ist er deswegen ein Bibliophiler? Oder einfach ein Liebhaber von Lyrik? Sie werden überall Märkte mit alten Büchern finden, wo Sie Ausgaben aus dem 19. Jahrhundert und sogar Erstausgaben aus dem 20. Jahrhundert zum Preis einer bescheidenen Mittagsmahlzeit im Restaurant erstehen können (außer Sie wollen die Erstausgabe der Blumen des Bösen ). Ich hatte einen Studenten, der sammelte ausschließlich Reiseführer verschiedener Städte, die ältesten und überholtesten, die man ihm für so gut wie nichts verkaufte. Immerhin entstand daraus seine Doktorarbeit über das Bild einer Stadt im Wandel der Zeit. Dann hat er die Dissertation veröffentlicht. Und ein Buch daraus gemacht.
J.-C. C.: Ich kann Ihnen erzählen, wie mir eines Tages der Kauf eines kompletten Fludd gelang, in einheitlichem, zeitgenössischem Einband. Zweifellos ein einmaliges Exemplar. Die Geschichte beginnt mit einer reichen Familie in England, die eine kostbare Bibliothek besitzt, und mehrere Kinder hat. Unter ihnen ist – wie das häufiger vorkommt – nur einer, der den wahren Wert der Bücher kennt. Als der Vater stirbt, sagt der Kenner großzügig zu seinen Geschwistern: »Ich nehme nur die Bücher, macht ihr den Rest unter euch aus.« Die anderen sind begeistert. Sie haben Grundstücke, Geld, Möbel, das Schloss. Doch als der neue Eigentümer im Besitz der Bücher ist, kann er sie nicht offiziell verkaufen,sonst würden seine Angehörigen aufmerksam und würden angesichts der erzielten Erlöse feststellen, dass »nur die
Weitere Kostenlose Bücher