Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
»Formosa Oolong« und »Frühstück«. Das Diktiergerät lag in der Lapsang-Dose, verborgen unter den Teeblättern. Es duftete schwach nach Rauch und Teer, als Annick es herausnahm.
Sie hätte warten müssen, bis sie zum Justizpalast kam,aber sie konnte sich nicht beherrschen. Nach kurzem Fummeln fand sie den richtigen Knopf, setzte das Diktaphon in Gang und hörte Nathalie Bonnaires Stimme:
»Es ist Freitag. Ich lese jetzt Fabiens Notizen ein oder das, was ich davon lesen kann. Verflixter Fabien, hättest du nicht deutlicher schreiben können? Wenn du wüßtest, wie sehr ich dich vermisse! Fabien schreibt, daß Berger Rebar Geld aus Brüssel für Umweltinvestitionen und Personalausbildung bekommen hat und daß Berger zusammen mit den kommunalen Bonzen das Geld veruntreut hat. Fabien hörte es an einem Abend in einer Bar, er redete da mit einem Typen, der hieß … was steht da … Marc, glaube ich … der bei Berger Rebar arbeitete. Und die Bar hieß wie … es kann Le Comptoir heißen, ich muß untersuchen, ob es so eine gibt. Dieser Typ war auf der sogenannten Personalausbildung gewesen, und die war der reine Witz, sie waren fünfundzwanzig Angestellte in einem Saal mit drei Computern, die aussahen, als wären sie in den achtziger Jahren gekauft worden, und sie sollten im Prinzip lernen, wie man die Computer an- und abstellt, und ein wenig, wie man sie benutzt. Aber die Computer waren so alt, daß viele von denen, die da waren, schon mit moderneren Dingern gearbeitet hatten, sagte Marc. Dann hatte er von der Schwester eines Kumpels, die als Sekretärin für den Betriebsleiter arbeitet, gehört, wieviel die … was steht da … die kommunale Ausbildungsgesellschaft für die sogenannte IT-Ausbildung in Rechnung gestellt hatte. Marc war überhaupt nicht empört, er hielt alles für einen großen Witz, er sah zu Berger auf wie anscheinend die meisten im Unternehmen, fand es cool, Behörden um Geld zu betrügen. Und mit den Umweltgeldern war es das gleiche, Berger Development hatte eingebaut … was steht da … irgendwas mit Toiletten im Personalraumund einen neuen Ventilator im Personalspeisesaal und Riesenbeträge in Rechnung gestellt, sagt die Schwester des Kumpels. Fabien hatte zuerst nicht gesagt, daß er Journalist ist, aber als er anfing, Fragen zu stellen, wurde Marc mißtrauisch und fing an, aggressiv zu werden, deshalb mußte Fabien da weggehen. Es geht nur darum, die Sekretärin des Betriebsleiters dazu zu bewegen, zu sagen, wie hoch die Rechnungen waren … Wie hieß sie, Fabien, warum hast du das nicht rausgekriegt? Dann muß ich jemanden finden, der bereit ist zu sagen, wie die Ausbildung eigentlich vor sich ging und welche Umweltinvestitionen eigentlich getätigt wurden. Und dann kriege ich Stéphane Berger dran, Fabien!«
Es war spät, und außerhalb des Lichtkreises der Straßenlaternen lag das Dunkel sehr kompakt, als Martine schließlich zu Hause in den Clos des Abeilles einbog. Sie hatte daran gedacht, die Lampe über der Haustür anzumachen, aber keiner hatte die kaputte Straßenbeleuchtung repariert, und die Schatten im Garten hinter dem Haus sahen schwarz und undurchdringlich aus. Sie spürte, wie sich ihre Nackenmuskeln gegen ihren Willen zusammenzogen, ihr Mund wurde trocken, und ihre Hände hinterließen feuchte Spuren am Lenkrad. Hätte sie um Polizeischutz bitten sollen? Aber es gab keine direkte Drohung gegen sie, und sie wollte nicht für Munition für die allzu vielen sorgen, die in ihr eine publicityhungrige Karrieristin sahen.
Und sie hatte ja eigentlich nichts weiter unternommen, was die, die sie daran hindern wollten, in Stéphane Bergers Geschäften zu wühlen, beunruhigen konnte. Natürlich hatte sie Berger angerufen, und sie hatte über ihn mit Annalisa Paolini und den Ermittlungsbeamten im kommunalen Polizeigebäudegeredet. Und nach Annick Dardennes Fund zu Hause bei Nathalie Bonnaire hatte sie sich endlich dazu aufgerafft – was sie schon nach ihrem Besuch in Jean-Claudes Gewerkschaftsgeschäftsstelle hätte tun sollen –, mit der diensthabenden Staatsanwältin Clara Carvalho darüber zu sprechen, ob man gegen Stéphane Berger und Louis Victor eine Voruntersuchung wegen Betrugs mit Fördergeldern einleiten sollte. Aber noch mußte das wohl eine Sache allein zwischen ihr und Carvalho bleiben.
Sie schluckte. Ihr Herz schlug schneller, und sie hörte das Geräusch ihres eigenen unruhigen Atems. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und das Abendessen lag wie ein schwerer
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