Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
reinzugehen und es zu nehmen, er wußte, wo wir den Zweitschlüssel hatten, verstehst du?
– Aber warum hat er es genommen? fragte Sophie.
– Es war ihm vielleicht klar, daß es wertvoll werden würde, sagte Greta, aber Evas Gemälde haben ihm auch immer gefallen. Ich habe mich damit getröstet, daß er es vielleicht trotz allem als Andenken haben wollte. Ich muß sagen, ich war so eitel, daß ich etwas enttäuscht war, daß er das Porträt von Aron genommen hatte und nicht das von mir. Aber dann verstand ich, daß es symbolisch für ihn war. Es ging um den Bischofsstab, verstehst du, und seinen Namen.
Inspektor Colonna stand auf einem Balkon in Saint-Tropez, eine Zigarette im Mundwinkel und ein frisch abgezogenes Rasiermesser in der Hand. In der nächsten Szene sah man in Großaufnahme, wie die scharfe Schneide des Rasiermessers an eine kotelettengeschmückte Wange gelegt wurde. Dann Schnitt auf die Erkennungsmusik und die klassische Einleitung.
– Interessant, sagte Henri Gaumont und nippte an seinem Espresso, das erinnert an die Anfangsszene von »Der andalusische Hund«. Jemand hat sich hier einen Spaß erlaubt.
– Ja, du hast recht, sagte Philippe verblüfft, warum habe ich daran nicht früher gedacht?
Während der Universitätsjahre hatte Philippe einen Filmklub geleitet, und er gab gern den Cineasten.
– Deine cinephilen Neigungen waren wohl noch nicht erwacht, als du angefangen hast, »Die Bullen von Saint-Tropez« zu sehen, sagte Thomas, und dann warst du zu versnobt, um in solchem Mist eine Buñuel-Referenz zu erkennen. Seid jetzt mal still, damit wir den Dialog genießen können!
Die Folge handelte davon, wie Mafiageld in den Bausektor in Saint-Tropez gepumpt wurde und wie der rechtschaffene Baumeister des Titels von Gangstern bedroht wurde, nachdem er sich geweigert hatte, mafiagelenkte Subunternehmer einen Kasinobau übernehmen zu lassen. Als die blonde Tochter des Baumeisters bei einem Besuch auf dem Bauplatz mysteriöserweise verschwand, mußte sich Inspektor Bruno widerwillig und mit Kommissar Colonnas Hilfe die Koteletten abrasieren, die Haare nach hinten kämmen und auf diese Weise zur Unkenntlichkeit entstellt unter falschem Namen einen Job als Bauarbeiter annehmen.
Nach den ersten zwanzig Minuten der Folge hatte sich Inspektor Bruno auf dem Bauplatz etabliert und das Vertrauen der Kollegen gewonnen. Während einer Essenspause begannen einige von ihnen, über merkwürdige Dinge zu reden, die sie an dem Tag, als die Baumeistertochter verschwand, gesehen hatten. Da kam die dunkelhaarige, kurvenreiche Sekretärin des Betriebsleiters, die stark verdächtigt wurde, mit den Schurken gemeinsame Sache zu machen, zum Pausenschuppen.
Inspektor Bruno schob den Schutzhelm nach hinten und lächelte sie breit an.
Mit einem Aufschrei stand Martine vom Sessel auf und zeigte erregt auf den Bildschirm.
– Da, rief sie aus, habt ihr’s gesehen, das war Istvan Juhász!
– Sein Name, sagte Sophie, was hatte der mit dem Bild zu tun?
– Der Bischofsstab, sagte Greta Lidelius traurig, ist ja ein symbolischer Hirtenstab, und Istvan hatte mir erzählt, daß sein Nachname, Juhász, im Ungarischen »Hirte« bedeutet, deshalb sah er den Stab irgendwie als sein Symbol.
Sie sprachen Schwedisch, aber Sophie sah sofort die Implikationen.
– Juhász auf ungarisch, sagte sie, »herde« auf schwedisch und auf französisch – »berger«. Mein Gott, Istvan ist Stéphane Berger!
Sie erinnerte sich an das Gespräch, das sie vor langer Zeit miteinander darüber geführt hatten, welchen Namen sie für ein neues Leben und eine neue Identität wählen würden. Man kann seinen Namen in eine andere Sprache übersetzen, hatte Istvan gesagt, und genau das hatte er getan.
– Ja, sagte die Bischöfin, und das wußte ich die ganze Zeit. Ich habe viel über ihn in französischen Zeitungen gelesen, bevor ich zu kraftlos war, um so viel zu lesen. Und das Firmenemblem seines Unternehmens zeigt ja einen liegenden Hirtenstab.
– Aber warum hast du nichts gesagt, als das Bild verschwand? fragte Sophie.
Greta Lidelius wischte sich vorsichtig mit der Serviette die Wangen ab.
– Trotz allem hing ich an dem Jungen, sagte sie, und ich wollte nicht, daß er im Gefängnis landet. Als Aron ausUppsala zurückkam, hat er selbstverständlich gefragt, wo das Bild abgeblieben war, und da habe ich gesagt, daß es von der Wand gefallen und der Rahmen beschädigt war, so daß ich gezwungen war, es zur Reparatur zu geben. Beim nächsten
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