Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Julia«, »Hamlet«. Und Maria wollte immer den König spielen.
– Aber Birgitta wollte nie Rollen lesen, sagte Sophie.
– Nein, sagte Daniel, ihr gefiel Theater, aber es gefiel ihr nicht vorzugeben, etwas zu sein, was sie nicht war.
– Aber sie konnte doch verhandeln, als Kommunalrat, sagte Sophie, da muß man doch Theater spielen können, um Erfolg zu haben?
– Ja, sagte Daniel nachdenklich, sie konnte gut verhandeln, sehr gut. Ich saß ja manchmal als Repräsentant der Provinzialregierung dabei, wenn sie Verhandlungen mit Hamra hatte. Aber ich glaube, sie sah es eher wie ein Schachspiel, sie war gut im Schach, erinnerst du dich? Man setzt sich ein Ziel, entwickelt die Strategie, um dorthin zu kommen, und kann verschiedene taktische Züge ausspielen, abhängig davon, wie der Gegner agiert. Sie zögerte nie, direkt zur Sache zu kommen und sich Konfrontationen zu stellen, wenn es nötig war, aber sie wollte immer im Vorfeld wissen, woran sie mit den Beteiligten war.
Zum ersten Mal fragte sich Sophie nüchtern und sachlich, was eigentlich zu Birgittas Tod geführt hatte. Beide Abendzeitungen zitierten anonyme Polizeiquellen in Villette, denen zufolge die Polizei davon ausging, daß die Schüsse Birgitta galten. Wenn das zutraf, mußte sie von jemandem getötet worden sein, der wußte, daß sie dorthin kommen würde, jemandem, mit dem sie sich verabredet hatte. Annalisa Paolini, das zu glauben weigerte sich Sophie. Sie hatte die Vizebürgermeisterin von Villette im Zusammenhangmit Dreharbeiten früher im Jahr kennengelernt und hielt sie für eine intelligente und rührige Politikerin, auch wenn sie ein paar irritierende Angewohnheiten hatte, aber sie war definitiv kein Mördertyp.
– Glaubst du, Birgitta hatte entdeckt, daß Istvan nach Villette zurückgekehrt war, und ist dorthin gefahren, um ihn mit etwas zu konfrontieren? fragte sie Daniel.
Der Sohn sah skeptisch aus.
– Ich habe in einer der Abendzeitungen gelesen, daß sie diese Vizebürgermeisterin nie getroffen hat, daß sie erst ein paar Stunden, nachdem sie … gestorben war, mit ihr verabredet war. Aber wenn sie vorgehabt hätte, jemanden, diesen Istvan vielleicht, mit etwas zu konfrontieren, hätte sie ihn nicht als ersten getroffen. Sie hätte sich zuerst umgehört, unter den Leuten herumgefragt.
Als sie zum Pfarrhof zurückgekehrt waren, schmorte Daniel die Pilze und machte ein delikates Pilzomelett, während Sophie bewundernd zusah. Sie trank ein Glas Wein zum Omelett, aber Daniel hielt sich an Wasser, weil er mit Maria nach Stockholm fahren wollte.
– Grüß Maria, sagte sie, als sie ihm beim Abfahren zuwinkte, und Cecilie und alle, die ihr in Villette trefft, und natürlich besonders Tony!
Daniel hatte Tony Deblauwe im Sommer in Paris kennengelernt und ihm auf seiner fünfgradigen Skala für Männer in Sophies Leben eine schwache Vier gegeben. Das freute Sophie. Daniel hatte ein gutes Urteilsvermögen, und im nachhinein sah sie ein, daß er mit seiner Minusnote für Jean-Jacques, den französischen Dramatiker, mit dem sie im letzten Jahr gebrochen hatte, richtig lag. Aber für Daniel reichte niemand an Paolo della Valle heran, den italienischen Schauspieler und Regisseur, der während seiner Jugenddie eigentliche Vaterfigur gewesen war. Noch immer verbrachte Daniel einen Teil seines Urlaubs auf Capri bei Paolo und dessen Frau Francesca.
Gegen acht begann Greta offenbar aufzuwachen. Sophie kochte Wasser für die Teekanne, die Daniel bereitgestellt hatte, und schob das Blech mit Pilztoasts in den Ofen.
Als alles fertig war, trug sie es hinein zu ihrer Großmutter, stellte Teetasse und Toastteller auf den kleinen Eileen-Gray-Tisch und half der Bischöfin aus dem Bett. Sie hatte immer noch ihren schwarzen Kostümrock und die weiße Bluse an, die sie unter der Kostümjacke getragen hatte.
– Jetzt müssen wir reden, Großmutter, sagte Sophie, und es tut mir leid, wenn es dich aufregt, aber das läßt sich nicht ändern. Das letzte, was ich Birgitta sagen hörte, war, daß ich dich nach einem Bild fragen soll, das verschwunden ist. Ich glaube, du weißt, worum es geht, und du weißt etwas über das Bild, etwas, das du nicht sagen willst, aber jetzt kannst du nicht länger schweigen. Birgitta ist tot, und ich glaube, ihr Tod hat etwas mit dem verschwundenen Bild zu tun.
Die Bischöfin rührte in ihrer Teetasse um. Sie sah plötzlich sehr alt aus.
– Ich habe ein schlechtes Gewissen, mußt du wissen, aber Birgitta kam nie zu mir, um
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