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Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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stattliche Sandburg.
    – Ich erinnere mich an diese Ferien, sagte sie, wir hatten einen Wohnwagen gemietet und wohnten zusammen auf einem Campingplatz am Meer, wir hatten so viel Spaß. Und jetzt sind Onkel Denis und Fabien tot!
    Sie setzte sich auf das ungemachte Bett des Cousins undfing ernstlich an zu weinen und schluchzte tief und vernehmlich. Martine reichte ihr unbeholfen ein Papiertaschentuch, das Nathalie Bonnaire benutzte, um Augen und Nase abzuwischen. Nach einer Weile sah sie wieder auf, rotäugig, aber gefaßt.
    – Ich muß mich wohl jetzt um alles Praktische kümmern, wollen Sie, daß ich komme und ihn identifiziere?
    – Gern, sagte Martine dankbar, können Sie morgen früh zur Leichenhalle kommen? Was haben Sie jetzt im übrigen selbst vor?
    In Nathalie Bonnaires Blick lag etwas Ausweichendes.
    – Ja, ich muß jetzt Tante Josiane anrufen und anfangen, die Beerdigung vorzubereiten. Dann werde ich wohl arbeiten wie gewöhnlich und einen neuen Mieter suchen, was sonst?
    Ihr Tonfall ließ in Martine ein leises Warnsignal ertönen. Nathalie Bonnaire war Journalistin, gut darin, Informationen auszugraben, und sie schien zu wissen, was hinter dem Tod des Cousins steckte. Das beunruhigte Martine.
    – Ich hoffe nur, daß Sie nicht vorhaben, einen privaten Kreuzzug gegen Stéphane Berger zu starten, sagte Martine warnend, als sie die Wohnung verließen.
    Nathalie Bonnaire antwortete nicht. Als sie auf den dunklen Hof kamen, sahen sie ihre Silhouette in den erleuchteten Fenstern der Wohnung. Sie stand da und guckte zu ihnen hinunter.
    Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel hatte aufgeklart. Ein bleicher Vollmond spiegelte sich in den Pfützen, und die Planen knallten im Wind.
    Martine entschloß sich, im eigenen Auto nach Hause zu fahren, und das Polizeiauto lieferte sie am Justizpalast aufder Île Saint-Jean ab, der Insel, auf der die Kathedrale von Villette, Saint Jean Baptiste, ihre beiden Türme über mittelalterliche Häuser und Gassen erhob.
    – Soll ich dich fahren? fragte Martine auf dem Weg hinunter in die Garage. Röte stieg auf Julies sonnenverbrannten Wangen auf, sichtbar sogar im schwachen Schein der Garagenbeleuchtung.
    – Nein, ich gehe nach Hause zu Dominic, er wohnt ja ganz in der Nähe, sagte sie. Sie versuchte, nonchalant zu klingen, aber es gelang ihr nicht ganz.
    Julie Wastia hatte seit mehreren Jahren ein Auge auf Dominic di Bartolo, Verwaltungschef am Justizpalast, geworfen, und im letzten halben Jahr war er sie schließlich gewahr geworden. Im August waren Dominic und Julie zusammen nach Rom in Urlaub gefahren.
    – Aber was heißt denn das, sagte Martine, seid ihr dabei zusammenzuziehen?
    – Wir werden sehen, sagte Julie mit einem Mona-Lisa-Lächeln, gute Nacht, Martine!
    Sie spazierte los auf die Brücke zu und verschwand um die Ecke, ein Streifen Rot unter den Straßenlaternen.
    Martine kam nach Hause zu Dunkel und Stille. Die kleinen Straßen in Abbaye-Village waren im Mondlicht regennaß und menschenleer, und sie roch das nasse Laub im Garten, als sie die Tür ihres leeren Hauses aufschloß.
    Sie machte die Lampen in allen Räumen im Erdgeschoß an, aber nichts half gegen die düsteren Bilder, die sie nicht aus dem Gehirn bekam – Fabien Lenormands junges totes Gesicht, blauweiß im Scheinwerferlicht, Nathalie Bonnaire in Tränen über den Cousin, mit dem sie früher Sandburgen gebaut hatte. Konnte sie Thomas in Schweden anrufen? Nein, es war zu spät, das Risiko zu groß, eine krankeFünfundneunzigjährige zu wecken. Statt dessen duschte sie, zog den Morgenmantel an und schenkte sich ein Glas Wein ein, das sie mit ins Wohnzimmer nahm.
    Sie ließ sich auf dem Sofa nieder. Über einem Stuhl hing ein Kleid, das ihre Nichte Tatia geschickt hatte. Es war am Morgen mit der Post gekommen, und sie hatte noch keine Zeit gehabt, es anzuprobieren, aber als sie es vor dem Spiegel vor sich gehalten hatte, hatte sie doch gesehen, daß es etwas vom Schönsten war, was Tatia je für sie genäht hatte, ein Traum aus schwerem schwarzem Seidencrêpe, den das Mädchen bei einer ihrer Einkaufstouren über Flohmärkte und durch Secondhandboutiquen gefunden hatte. Das drapierte Mieder war gewickelt, und die Taillenpartie und die Schultern waren dicht mit schwarzen Steinkohleperlen bestickt. Martine liebte schöne Dinge, und das Kleid war ein Kunstwerk. Allein zu wissen, daß es im Kleiderschrank hing, würde sie glücklich machen, selbst wenn sie es nie tragen würde.
    Aber trotzdem. Sie

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