Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
kann ich also absolut nicht bestätigen. Aber es stimmt, daß dort ein junger Mann tot aufgefunden worden ist, und er scheint auf einem mit Erz beladenen Prahm dort hingekommen zu sein. Das dürfen Sie gern schreiben.
Jemand konnte etwas gesehen haben, dachte sie, die Prahme fuhren an den Ufern entlang und unter Brücken. Vielleicht waren spielende Kinder oder jemand, der seinen Hund spazierenführte, auf einer Brücke stehengeblieben und hatten in der Ladung eines Prahms, der vorbeifuhr, etwas Sonderbares bemerkt.
– Dürfen wir mal telefonieren, ein Ortsgespräch? fragte sie.
– Bitte sehr, sagte der Redakteur flott, telefonieren Sie nur, wir schicken die Rechnung an den Justizpalast. Wählen Sie die Null für eine Amtsleitung.
Martine schielte zu Julie, die nickte und zu einem Telefonaußer Hörweite der beiden Journalisten ging. Sie sahen enttäuscht aus.
– Aber Sie sind Fabien Lenormand offenbar begegnet, sagte Martine.
Julie wählte eine Nummer, und der Teilnehmer schien abzuheben.
– Ein paarmal, sagte der Redigierer, er kam ein paarmal mit Bonnaire mit, wenn wir nach der Arbeit ein Bier trinken waren. Netter Typ, interessiert sich sehr fürs Radfahren.
Julie sprach leise mit jemandem, legte auf und nickte Martine zu.
– Ja, sagte sie mit unterdrückter Stimme, die zweite Telefonnummer in der Brieftasche war die von Nathalie Bonnaire, ich habe gesagt, wir würden sofort zu ihr nach Hause kommen. Ich habe nicht gesagt, was passiert ist, nur, daß es um Fabien Lenormand geht, aber sie rechnete mit dem Schlimmsten. Er war anscheinend ein paar Tage mehr oder weniger verschwunden.
Nathalie Bonnaire wohnte in einem alten Industriegebiet zwischen dem Fluß und der Eisenbahn am südlichen Rand von Villette, wo mehrere leere Gebäude zu Wohnungen umgebaut wurden. Irgendwann in der Zukunft würde es sicher ein Ort werden, der die Trendigen und Wohlhabenden anlockte, aber im Moment war Martine froh, daß sie im Polizeiwagen kam, als sie vorsichtig über die Pfützen auf dem unaufgeräumten Industriegrundstück stieg, wo der Wind durch die Baugerüste heulte und schlecht befestigte Planen unglücksverheißend im Dunkel knallten. Nathalie Bonnaires Adresse war ein Speichergebäude aus dem 19. Jahrhundert, eines der ersten, in denen die Wohnungen bezugsfertiggeworden waren. Aber mit der Renovierung des Hauses war man noch nicht fertig. Die Eingangshalle war immer noch voller Leitern und Malereimer, und der Fahrstuhl war ein alter Industrieaufzug mit braunem Papier auf dem Boden.
Nathalie Bonnaire machte augenblicklich auf, als sie klingelten, als habe sie hinter der Tür gestanden und gewartet. Sie trug eine schwarze Jogginghose und ein weißes T-Shirt, und ihre braunen Augen sahen unter dem dunklen Pony besorgt aus.
– Kommen Sie rein, sagte sie, ich habe Tee gemacht.
Die Wohnung bestand aus einem großen Raum mit hohen Fenstern zum Hof, einer Küchenabteilung, die durch eine Bartheke vom Wohnzimmer getrennt war, und einem winzigen Schlafzimmer am Ende der breiten Halle.
Sie ließen sich auf einem Sofa vor einem niedrigen Couchtisch nieder, wo Nathalie Bonnaire Teekanne und Tassen gedeckt hatte.
– Sagen Sie es jetzt, sagte sie, Fabien ist tot, stimmt’s? Stimmt’s?
Ihre Stimme wechselte die Lage, ging auf und ab, als habe sie keine Kontrolle darüber.
– Warum glauben Sie das? fragte Martine.
Nathalie Bonnaire sah sie vorwurfsvoll an.
– Verstellen Sie sich nicht, Madame Poirot, sagte sie, es ist klar, daß er tot ist, warum sollten Sie sonst um diese Zeit hierherkommen? Oder ist er verletzt? Liegt er im Krankenhaus?
Martine zögerte, aber es wäre grausam, die junge Frau zappeln zu lassen.
– Ja, sagte sie, wir haben einen toten Mann gefunden, der allem Anschein nach Fabien Lenormand ist, er hatte FabienLenormands Papiere bei sich und scheint dieselbe Person zu sein wie auf den Bildern im Paß und im Presseausweis. Wie gut kennen Sie ihn, ist er jemand, der Ihnen nahesteht?
Nathalie Bonnaire biß sich in die Unterlippe und blinzelte, um die Tränen, die plötzlich ihre Augen füllten, wegzudrücken. Sie verschränkte die Arme und drückte die Hände an den Körper, wie um sie zu wärmen.
– Er ist mein Cousin, sagte sie, seine Mutter ist meine Tante mütterlicherseits, und ich kenne ihn schon mein ganzes Leben. Was ist denn passiert, ein Verkehrsunfall? Nein, dann wären Sie nicht hier. O Gott, er ist ermordet worden, so muß es sein. Fabien ermordet! Wie kann ich das Tante Josiane
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